Ich bin unschuldig
darf den Blick abwenden. Doch DI Perivale sieht mich nicht an – vielmehr beobachte ich ihn –, bis zu dem Augenblick, da ich innehalte und sein Blick sich auf mich richtet, ja, mich förmlich aufspießt. Es ist irritierend. Als ich den Kopf neige und meine Haare zu einem Pferdeschwanz fasse und ihn drehe, damit er hält, kommt es mir unnatürlich vor, wie jemand, der so tut, als sei er entspannt. Dasselbe, wenn ich die Hände in die Ärmel meines Pullovers schiebe. Am besten versuche ich stillzusitzen. Das sagen wir unseren Gästen in der Sendung auch immer. Setzen Sie sich, falls nötig, auf Ihre Hände. Hitze kriecht an meinem Hals hoch. Als ich mit meinem Bericht fertig bin – dieselbe Geschichte, die PC Morrow sich schon notiert hat –, erkläre ich DI Perivale, dass er mir das Gefühl vermittelt, schuldig zu sein und irgendwie in der Defensive. Ich habe die Schultern hochgezogen, wie wenn man durch eine Sicherheitsschranke geht oder wenn man an der Tür zu teuren Läden am Sicherheitspersonal vorbeimuss.
»Machen Sie das oft?«
»Was?«
»Durch die Türen teurer Läden gehen?«
Ich versetze seinem Arm einen spielerischen Klaps. Es ist kein angenehmer Augenblick. Seine Haut, unter den kurzen Ärmeln seines Polohemds, ist blass und mit dunklem, spinnenartigem Haar besetzt. Er schaut auf meine Hand hinunter, auf meine karmesinroten Fingernägel. »All Shook Up«, sage ich und ziehe sie zurück. »Von OPI . Den musste ich zur Arbeit auflegen.«
Er deutet ein Lächeln an.
»Sie trinken besser Ihren Tee«, sage ich. »Es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht mehr helfen kann. Ich wünschte, ich hätte irgendjemanden gesehen, irgendetwas. Es tut mir leid, dass Sie umsonst hergekommen sind. Aber die arme Frau.«
»Für mich ist kein Weg je umsonst.«
Vielleicht gehört er zu den Männern, die sich weniger unzulänglich fühlen, wenn sie andere klein machen. Er erinnert mich an meinen Chef bei Panorama, als ich Trainee war – Colin Sinclair, mit seiner großen schwarzen Ledermontur und seiner kleinen roten Suzuki 125. »Das könnte man so sagen; ich enthalte mich jeglichen Kommentars«, äußerte er zu jeder auch nur im Entferntesten strittigen Bemerkung. Oder wenn mein Zug Verspätung hatte: »Ich glaube Ihnen, Millionen würden es nicht.« Sein Gehirn war verloren, wenn er nicht eine kleine abgewetzte Rille fand, wo er einhaken konnte, wenn er nicht eine vorgefasste Meinung fand, der er sich anschließen konnte. Bei diesem Polizist scheint es genauso zu sein. Und eine Tote da draußen … falls sie noch da draußen ist.
»Ist sie noch da?«, frage ich. »Mitten im Common. Oder haben Sie sie weggebracht? Ich habe keine Ahnung, was in so einer Situation passiert.« Ich tippe auf den Tisch, klopfe auf Holz. »Zum Glück.«
Er reibt sich das Gesicht. »Wir haben die Tote weggebracht. Sie ist in der Rechtsmedizin.«
»Haben Sie, ich meine, hat die Soko irgendetwas gefunden? Irgendetwas, was Ihnen verrät, was passiert ist? Glauben Sie, es war ein Raubüberfall? Oder eine Vergewaltigung? Ein zufälliger Mord? Läuft da draußen ein Wahnsinniger herum, von dem wir alle wissen sollten? Tut mir leid, dass ich diese Fragen stelle, aber es wäre schön … es zu wissen.« Zu meiner Überraschung stelle ich fest, dass ich kurz davor bin, in Tränen auszubrechen.
»Wir müssen warten«, sagt er nicht unfreundlich. »Später wissen wir mehr. Mein Motto: NNA . Nichts voraussetzen. Niemandem glauben. Alles überprüfen. Ich melde mich wieder. Versprochen.«
»Sie wissen nicht, wer sie ist? Kein Handy … keine Brieftasche ?«
»Nein.« Er stößt einen theatralischen Seufzer aus. Vielleicht ist er doch nicht so unausstehlich. »Im Augenblick wissen wir nichts.«
Plötzlich werde ich ganz traurig. »Sie sind so etwas vermutlich gewohnt.«
»Eigentlich nicht.«
»Also, ich bin mir sicher, Sie finden ihn«, sage ich unpassenderweise.
»Und Sie können sich an sonst gar nichts erinnern?«
Eine Erinnerung überkommt mich, der Schock einer kalten Welle. »Ein seltsamer Geruch. Fast … es klingt dumm, aber fast wie Bleiche.«
Er nickt. »Der ist mir auch aufgefallen. Die Rechtsmedizin wird es sicher bestätigen.«
»Und ihre Augen? Ich wollte fragen. Als wären sie mit Wachs überzogen?« Aus irgendeinem Grund ist meine Stimme lauter geworden, wie bei Millie, wenn sie zu viel iCarly geguckt hat.
»Das ist die Konjunktiva. Hat nichts damit zu tun, wie sie gestorben ist, mehr damit, wann. Wenn der
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