Ich bin unschuldig
Augeninnendruck abfällt, werden die Augäpfel weich und wirken dünner, fast wolkig oder wie mit Folie überzogen.«
»Das Licht geht aus.«
»In der Tat.«
Ich schaue auf meine Uhr. Jeden Moment wird Millie nach Hause gebracht, und ich hätte nichts dagegen, wenn er fort wäre, bevor sie kommt. Ich muss überlegen, was ich ihr sagen werde und wie. Und ich muss Philip anrufen. Es ist schrecklich, dass ich das nicht längst getan habe. Während der letzten Phase der Krankheit meiner Mutter habe ich ihn jeden Tag angerufen. Es ist seltsam, beunruhigend, dass ich noch nicht mit ihm gesprochen habe – noch ein Zeichen, falls ich ein solches brauchte, für die Distanz zwischen uns. Ich stehe auf, nehme den Becher des DI vom Tisch und krempele die Ärmel hoch, wie um anzudeuten, dass ich jetzt abwaschen möchte. Er betrachtet meine Arme. Die Innenseite meiner Unterarme ist verkratzt und voller Abschürfungen, winzige getrocknete Blutstropfen, und mein Armband ist verschwunden, das Armband, das Philip mir zum Geburtstag geschenkt hat. Ich muss es verloren haben. Doch dafür interessiert sich der Polizist nicht. Ich reibe meine Handgelenke.
»Unterholz«, sage ich. »Als ich mich durchs Gestrüpp gekämpft habe. Ist mir nicht mal aufgefallen. Gut, dass ich in der Sendung heute ein langärmeliges Kleid getragen habe, sonst hätten mir die Zuschauer Bücher über Selbstverletzungen geschickt. Das Erlebnis hat mich buchstäblich gezeichnet.«
Zum Glück scheint er das nicht zu hören. Er zieht seine Jacke an. An den Manschetten und unten am Rand, wo er festhalten muss, um den Reißverschluss zuzuziehen, ist sie speckig.
»Ich muss noch kurz eine DNA -Probe nehmen, um Sie ausschließen zu können«, sagt er, »und wissen Sie, was wirklich hilfreich wäre? Die Turnschuhe, die Sie heute Morgen getragen haben. Für die Fußabdrücke.«
»Selbstverständlich.«
Er kramt in seiner Tasche nach einer Plastiktüte und einem Wattestäbchen, und in einer plötzlichen, fast lächerlich demütigenden Sequenz öffne ich den Mund, stoße einen leichten Zitrone-Ingwer-Atem aus, und er steckt das Wattestäbchen rein, zieht es raus und schiebt es ins Röhrchen, lässt dieses in die kleine Tüte plumpsen, versiegelt sie und steckt sie wieder in die Tasche. Ich verlasse eilig die Küche und laufe nach oben. Ich poltere lauter die Stufen hinauf, als es nötig wäre. Ich lache kurz auf. Er hatte die Plastiktüte in der Tasche, einsatzbereit. Ich denke an die Jungen von früher, in meiner Teenagerzeit in Yeovil, das Kondom in der zerknitterten Folienverpackung stets startklar in der Gesäßtasche. Vor dem Spiegel der Frisierkommode im Schlafzimmer stoße ich einen stummen Schrei aus, um ein wenig Spannung abzubauen. Ich hole die Turnschuhe aus dem Schrank und laufe wieder hinunter. Als ich auf halber Treppe an Martas Zimmer vorbeikomme, dringt Musik durch die Tür, ein wummerndes elektronisches Dröhnen, zu viel Bass für meinen Geschmack.
DI Perivale ist in dem Raum rechts von der Haustür – er ist einfach reinspaziert, als wäre er hier zu Hause. Es waren mal zwei Räume, und wir haben einen Durchbruch machen lassen, sodass ein heller, cremefarbener prächtiger Vorzeigeraum entstanden ist – Couchtische aus Glas, Sofas zum Reinsinken und bauschige Kissen –, ein Raum, den wir natürlich so gut wie nie benutzen. DI Perivale steht an einem der beiden Kamine und betrachtet die gerahmten Fotos.
Er nimmt eines in die Hand. Ich weiß von hier aus, dass es unser Hochzeitsfoto ist. Ich lache in die Kamera, und Philip hat mir einen Arm um die Taille gelegt und zieht mich an sich. Philip, mit wirrem dunklem Haar und großen Augen, lächerlich jungenhaft, trägt einen weiten Anzug aus dem Wohltätigkeitsladen. Ich trage ein knittriges weißes Kleid – aus einem haftenden Polyesterstoff, der damals absolut angesagt war; er zog sich beim Waschen zusammen, und man musste ihn mit dem Bügeleisen wieder in Form bringen. In der unbeholfenen seitlichen Pose, die man einnimmt, wenn man denkt, man müsste sich dünn machen, um aufs Bild zu passen, sehe ich aus, als würde ich jeden Augenblick die Stufen der Old Town Hall in Chelsea runterfallen. Ich weiß noch, dass ich gedacht habe: Ich glaub’s nicht, dass er mich gewählt hat! Er hat mich geheiratet! Wir haben im Pub eine Party gefeiert und den Rest des Wochenendes in unserer Wohnung verbracht, nackt, denn wir waren frisch verheiratet und frisch verliebt – wir kannten uns ganze sechs Monate –
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