Ich bin unschuldig
denn Philip schlägt die Augen auf. Einen Sekundenbruchteil begegnet er meinem Blick, und dann registriert sein Gehirn die Tatsache, dass er wach ist, und sein Blick gleitet fort. Er stützt sich auf die Ellbogen. »Gaby«, sagt er zu meinen Haaren. »Gabs, wie schrecklich. Ich kann es nicht glauben.« Er legt mir den freien Arm um die Schultern. Sein Kinn ruht auf meinem Haar, und ich vergrabe das Gesicht an seinem Hals. Mich überkommt das hinterhältige, selbstgerechte Gefühl, das gern aufsteigt, wenn jemand, der einem nahesteht, nicht da war, als man ihn brauchte. Seine Schlafanzugjacke duftet nach Basilikum und Limone. Ich überlege, seit wann er sich in der Nacht etwas anzieht. Ein Geschenk von seinen Eltern (die ich, gütiger Himmel, immer noch nicht angerufen habe), feine Baumwolle in harmlosen dunklen Karos aus der Savile Row. Aber trotzdem – der wilde, freie Philip, den ich geheiratet habe, in einem kuscheligen, gemütlichen konventionellen Schlafanzug?
Ich schmiege mich in die weiche Falte zwischen Schlüsselbein und Hals – nicht gerade ein Kuss, aber ein vorsichtiges Zupfen mit den Lippen an seiner Haut, nicht allzu demütigend, falls es abgewiesen wird. Sein Körper ist fest unter der Jacke. Der zweite Knopf ist aufgegangen, und ich widerstehe der Versuchung, mit der Hand darunterzufahren und über seine nackte Brust zu streichen. Er löst sich und beugt sich lächelnd vor. »Einen Tee, den brauchst du jetzt, und du solltest lange im Bett liegen bleiben. Ich bringe die Zeitungen mit rauf.«
»Millie ist wahrscheinlich schon auf«, sage ich nach einem Augenblick, »und hockt vor dem Fernseher.«
»Ich geb ihr ein paar Cornflakes und komme zurück. Du musst mir alles erzählen.«
Er drückt mir einen Kuss auf den Kopf und verlässt das Bett. So schnell wie versprochen wird er nicht zurückkommen, denn er kann ein paar Hieben auf den Boxsack nicht widerstehen, ein paar Metern auf dem Laufband. Philips Gehirn ist außergewöhnlich – er kann eine Reihe von Zahlen in Millisekunden umwandeln, kann aus einer Reihe quantitativer Variablen eine komplizierte gestreute Anlagestrategie konstruieren, ohne in Schweiß auszubrechen. Für seine Investoren, für die amerikanischen Besitzer, ist er der Hedgefonds – so viel ist mir klar. Ich habe immer schon gewusst, dass sein Gehirn anders verdrahtet ist als meins. Er ist krankhaft ruhig, akribisch aufmerksam. Ich habe noch nie erlebt, dass er überstürzte Entscheidungen fällt, nervös wird, rot sieht, doch er kann auch obsessiv sein. Pete Anderson, ein Typ, mit dem er bei Nomura zusammengearbeitet hat, hat einmal zu mir gesagt: »Philip lebt und atmet anderer Leute Geld.« Damals war ich entsetzt – ein Leben reduziert auf Pfund und Pence, die nicht einmal ihm gehören! –, doch ich habe darüber nachgedacht, und es stimmt nicht ganz. Die Synapsen in seinem Gehirn mögen sich für die Launen des Marktes begeistern, aber sein Körper hat seine ganz eigenen Obsessionen, seine eigenen alles verschlingenden Affären. Früher musste er dazu in der Natur herumalbern, im Meer schwimmen, und er brauchte mich, doch in letzter Zeit sind seine körperlichen Aktivitäten fokussierter und kultivierter. Im Augenblick ist er seinem maßgefertigten Fahrrad hörig, einem Parlee Z2 mit geradem Oberrohr und Wishbone-Hinterbau, und dem maßgeschneiderten Fitnessraum, der unseren halben Keller einnimmt. Der untreue Mistkerl.
»So, da wären wir, mein Schatz, eine schöne Tasse Tee und die Times .«
Ich muss wieder eingedöst sein. Philip steht in der Tür, ein Handtuch um die Hüfte geschlungen. Die Haare auf seiner Brust fächern sich auf wie eine Feder. Er reicht mir einen weißen Porzellanbecher, der nicht so heiß ist, wie er sein sollte. Er hat auf dem Weg runter in den Fitnessraum kochendes Wasser auf den Teebeutel gegossen und den Beutel auf dem Weg nach oben wieder rausgenommen. Mein Schatz. Das klingt sehr erwachsen. Wo kam es her? Wie kann eine Zärtlichkeit beißen? Wie kann Liebesgeflüster gleichgültig klingen?
»Danke«, sage ich und trinke geräuschvoll. »Hast du Marta gesehen?«
Er rümpft die Nase, sieht für einen Augenblick aus wie ein Schuljunge. »Ich bin an ihrem Zimmer vorbeigelaufen, für alle Fälle. Ich möchte nicht das Risiko eingehen, sie nackt zu sehen. Könnte mich für den Rest des Tages zur Strecke bringen.«
»Sei nicht gemein!«
»Die Lampen im Fitnessraum sind schon wieder kaputt«, sagt er. »Kannst du den Elektriker
Weitere Kostenlose Bücher