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Ich bleib so scheiße, wie ich bin

Ich bleib so scheiße, wie ich bin

Titel: Ich bleib so scheiße, wie ich bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Niazi-Shahabi
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Bestimmung lässt sich so leicht nicht wieder abschütteln. Nicht das aus seinem Leben gemacht zu haben, was man hätte machen können – eine schlimmere Lebensbilanz ist für einen aufgeklärten Menschen und Bürger eines Sozialstaats kaum denkbar.
GEGENVORSCHLAG:
    Machen Sie lieber ein weniger riskantes Gedankenspiel: Stellen Sie sich vor, Sie müssten nichts Besonderes tun, Sie müssten nichts von dem erreichen, was Sie einmal meinten erreichen zu wollen. Keine Sprache und kein Musikinstrument muss von Ihnen erlernt werden, keine sportliche oder intellektuelle Höchstleistung wird von Ihnen erwartet. Sie müssen sich nicht aufraffen, in den Arsch treten, sich selbst überwinden. Sie brauchen auch kein besserer, glücklicherer, schönerer, zufriedenerer und erfolgreicherer Mensch zu werden.
    Wie viele Architekten, Schauspieler und Eiskunstläufer sitzen am Abend auf ihrem Sofa und fühlen sich ausgebrannt und leer. Selbst Rockstars und Spitzenpolitiker müssen in schwachen Stunden zugeben, dass sie sich das Leben auf der angeblichen Sonnenseite anders vorgestellt haben. Auch Geld, Ruhm und ein Traumkörper schützen leider nicht vor Einsamkeit und Depression. Die Soulsängerin Amy Winehouse und den Torwart Robert Enke zum Beispiel hat der Erfolg nicht glücklich gemacht.
    Malen Sie sich also aus, Sie könnten tun und lassen, was Sie wollen. Keine eigenen hohen Ansprüche diktierten Ihnen einen Sechzehnstundentag und am Wochenende ein anstrengendes Freizeitprogramm.
    Stattdessen könnten Sie Freunde treffen, Kaffee trinken, Zeitung lesen, baden gehen, Schokolade essen und stundenlang fernsehen. Denn wofür Sie keine Zeit mehr aufwenden, ist die Beschäftigung mit Ihrem unerfreulichen und unperfekten Selbst. Sie blättern lieber in Ihrem Lieblingscafé oder auf einer Parkbank in der Zeitung. Ihre Umwelt beachtet Sie gar nicht. Der blaue Himmel über Ihnen, der Baum neben Ihnen, Ihr Nachbar wie auch die Tiere zu Wasser, auf Erden und in der Luft interessieren sich nämlich nicht für Ihr Fortkommen.
    Wie würde es sich anfühlen, wenn Sie mit einem Schlag jede Verbesserung Ihres Charakters, Ihrer Situation, Ihrer Ehe, Ihrer Kinder, Ihrer Freundschaften bleiben lassen könnten? Wäre das nicht ein Zustand, den man mit Fug und Recht als Freiheit bezeichnen könnte?
SEIT 2000 JAHREN VERSUCHEN
WIR UNS ZU VERBESSERN –
MIT MÄSSIGEM ERFOLG
    Wie kam dieser aufreibende und leidbringende Drang zur Selbstgestaltung in die Welt? Diese nie endende Aufgabe, die jeden überfordert und der sich trotzdem kaum einer entziehen kann. Der Wunsch, das Beste aus sich machen zu wollen, scheint uns so selbstverständlich zu sein, dass wir glauben, es handele sich um ein jedem Menschen angeborenes Bedürfnis.
    Vor ein paar Jahren saß ich mit meinem Vater im gepflegten Garten des Kibbuz Bet Alpha im Norden von Israel. Ein künstlicher Wasserfall rauschte, und klassische Musik spielte aus Lautsprechern, die in den Dattelpalmen aufgehängt waren. Wir waren an diesem Vormittag allein im Garten, bis auf zwei Beduinen, die ihren Kamelen zusahen, wie sie Datteln vom Rasen fraßen.
    Nach einer Stunde standen die beiden Beduinen auf, lasen noch ein paar Datteln auf, verstauten sie in kleine Lederbeutel, zerrten an den Leinen der riesigen Tiere und setzten an, den Kibbuz wieder zu verlassen. Ein Kibbuzmitglied kam aus dem Pförtnerhäuschen und sprach auf die beiden Männer ein, offensichtlich wollte er, dass sie bleiben. Ein vierter Mann in einem Overall mit einer Schubkarre kam dazu, eine laute Diskussion entzündete sich. Mein Vater ging zu der diskutierenden Gruppe hinüber, er wollte vermitteln, schließlich sprach er Arabisch.
    Ich wusste nicht, worum es ging, bis mein Vater übersetzte: Der Gärtner des Kibbuz hatte die Beduinen am Morgen auf der gegenüberliegenden Straßenseite ihr Lager aufschlagen sehen. Sofort war er hinübergegangen und hatte sie eingeladen, die reifen Datteln, die überall im Garten herumlagen, aufzulesen, bevor sie vertrockneten. Kamele lieben Datteln über alles, und sie bilden ein gutes Futter für unterwegs, denn sie enthalten viel Zucker und Mineralien. Die Idee war: Die Beduinen säubern den Garten und bekommen dafür die Datteln umsonst. Die Beduinen waren gekommen, ihre Kamele hatten ein paar Datteln gefressen, sie hatten sich auch welche mitgenommen, aber im Garten lagen noch Tausende der Früchte am Boden. »Der Gärtner will, dass sie auch die anderen Datteln mitnehmen«, erklärte mein Vater. »Aber die

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