Ich bleib so scheiße, wie ich bin
beiden meinen, für heute hätten sie genug.«
»Und morgen und übermorgen wollt ihr keine Datteln essen, oder was?«, rief der Gärtner. »Wenn wir morgen Datteln brauchen, kommen wir morgen wieder«, sagten die Beduinen, gaben den Kamelen einen Klaps und gingen.
Was für mich damals unverständlich war, ist eigentlich nicht schwer zu erklären. Für einen Beduinen herrschen andere Gesetze als für Menschen mit einem festen Wohnsitz. Wer durch die Wüste wandert, für den ist zu viel Besitz hinderlich. Der Beduine lebt von der Hand in den Mund, langfristige Planungen sind in der Wüste obsolet. Seine Möglichkeiten, mit seinem Besitz Erfolg und Status auszudrücken, beschränken sich auf das, was er tragen kann. Am besten ist, wenn der Besitz selber laufen kann, aber auch Schafe, Frauen, Ziegen, Kinder und Kamele müssen versorgt werden. In der Wüste geht es nicht um Selbstverwirklichung, sondern ums nackte Überleben.
Tatsächlich entstand die Idee, das Glück eines jeden einzelnen Menschen in den Mittelpunkt politischen Handelns zu stellen, 1200 Kilometer nordwestlich der israelischen Dattelwiese, nämlich in Griechenland. Glücklich und zufrieden ist ein Mensch, schrieb der griechische Philosoph Aristoteles vor 2300 Jahren in seiner Staatsformenlehre, wenn er alle seine künstlerischen, geistigen und körperlichen Talente entfalten kann. Das kann ein Mensch natürlich nur, wenn er nicht gezwungen ist, seine gesamte Lebenszeit dafür aufzuwenden, für Nahrung, Kleidung und einen Schlafplatz zu sorgen. Ein guter Staat muss laut Aristoteles daher die Voraussetzungen dafür schaffen, dass jeder Bürger so leben kann, wie es ihm entspricht. Praktisch heißt das, dass der Staat seine Bürger materiell absichert, dass er ihre Ausbildung finanziert und ihnen rechtlichen Beistand und Zugang zu medizinischer Versorgung gewährt.
Dabei verfolgt er in seiner Gesamtheit kein eigenes Ziel, für das er dann womöglich seine Bürger einspannt und benutzt. Am schönsten wäre es, schlägt Aristoteles vor, wenn die Bürger eines Staates überhaupt nicht mehr für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssten, denn »Freiheit bedeutet, so zu leben, wie man will – Gleichheit, dass das Regieren und Regiertwerden reihum geht«.
Dass Aristoteles an das Funktionieren eines Staates glaubte, in dem jeder Bürger macht, was er will, und ab und zu mit Regieren dran ist, liegt daran, dass man damals nicht alle Menschen als Bürger ansah. Keine Bürger waren beispielsweise Sklaven, Frauen, Bauern, Ausländer und Kinder. Die hatten natürlich nichts zu melden oder zu regieren, sondern mussten arbeiten.
Für manche heute zu modern, für Aristoteles eine ganz selbstverständliche Idee:
das bedingungslose Grundeinkommen.
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Die Thesen Aristoteles’ haben also nicht nur für unsere Demokratie den Grundstein gelegt, sondern auch für die Idee, den Lebenssinn in unserer Selbstverwirklichung zu sehen. Aristoteles hat darüber hinaus klar erkannt, dass alles andere, was in einem Menschenleben noch so erledigt werden muss (wie Einkaufen, Schuhe putzen, Haare schneiden, Betten beziehen, kochen, Müll runtertragen), nicht unmittelbar dazu beiträgt, unsere Talente zu entfalten. Damit die Bürger sich ihrer ureigensten Bestimmung widmen können, fordert Aristoteles also eine Art Grundeinkommen und ausreichend Personal, welches ihnen die lästigen täglichen Pflichten abnimmt. Das ist das ideale Leben: Wir verwirklichen uns selbst, während Sklaven Nahrungsmittel anbauen und zubereiten, Kleidung nähen, die Tiere versorgen und die Hausarbeit machen. Und die Frauen betreuen die Kinder. Denn zum Glück haben Sklaven und Frauen keine besondere Bestimmung, die sie drängt. Während Haus und Garten ohne unser Zutun gedeihen und in Küche und Kinderzimmer fröhliche Geschäftigkeit herrscht, widmen wir uns der Philosophie, der Kunst oder der Mathematik. Wir tanzen, fechten, reiten und diskutieren. Und wenn wir davon müde sind, ruhen wir uns aus.
Das Ziel der Arbeit ist die Muße,
die Muße ist die Schwester der Freiheit.
Aristoteles
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Zwei Jahrtausende später lebt dieses Ideal Aristoteles’ in jedem aufgeklärten Europäer weiter. Sich selbst verwirklichen zu können, ist uns heilig. Geistige Tätigkeit gilt bei uns mehr als Hausarbeit, ein Workaholic ist angesehener als ein Hartz-IV-Empfänger. Aristoteles schrieb: »Da jeder Mensch nur lebt, um den in ihm ruhenden Plan zu vollenden . . . ist eine Handlung dann ethisch einwandfrei, wenn sie als
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