Ich bleib so scheiße, wie ich bin
Praktikanten, der womöglich eine Ausbildung und/oder einen Universitätsabschluss hat, über Jahre unterstützen müssen, ist das offensichtlich. Genauso offensichtlich ist es, wenn Mitarbeiter umsonst für ihren Arbeitgeber arbeiten und Kredite aufnehmen müssen, um sich das leisten zu können, wie es die Mitarbeiter des hessischen Unternehmens Biodata AG taten. In dem Dokumentarfilm Weltmarktführer erzählt der Filmemacher Klaus Stern die Geschichte der Biodata AG , die erst zum Internetstartup hochgejubelt wurde und schließlich zusammenbrach. Über ein Jahr begleitete Klaus Stern den Konzernchef Tan Siekmann, der versuchte, das Unternehmen nach der Pleite wieder aufzubauen. Regelmäßig vertröstete Tan Siekmann seine Mitarbeiter, die seit Monaten ohne Gehalt für ihn arbeiteten, dass der nächste große Auftrag und damit ihr Gehalt bald in Sicht seien. Doch dieser Auftrag kam nie, und während die Mitarbeiter auf internen Betriebsversammlungen einander ihre finanzielle Notlage schilderten, ließ sich ihr Chef auf einer Automesse den neuesten Porsche vorführen.
Warum geben Menschen gegen schlechte oder fehlende Bezahlung ihr Bestes für Leute, die sie benutzen. Oder wie kommt es, dass sich ehrliche Menschen von ihrem Arbeitgeber zu Aktionen drängen lassen, die sie nicht verantworten können – wie nicht wenige Mitarbeiter der ehemaligen MEG AG . In der Firma des Versicherungsvertreters Mehmet Gökers herrschte eine Atmosphäre wie in einer Drückerkolonne. Mit fragwürdigen Methoden verkauften am Schluss über eintausend Mitarbeiter in Deutschland private Krankenversicherungen, bis die Firma 2009 Insolvenz anmeldete. Einige Mitarbeiter wunderten sich später, dass sie sich von ihrem ehemaligen Chef derart haben unter Druck setzen lassen. Sie taten das alles für den großen Erfolg, der plötzlich zum Greifen nahe schien.
Praktikanten arbeiten fast umsonst und verwirken damit ihr Recht auf Hartz IV, von dem sie wenigstens ihre Miete und ihre Krankenversicherung bezahlen könnten.
In Werbeagenturen machen die festen Mitarbeiter regelmäßig unbezahlte Überstunden, weil sie glauben, dass sie sonst gefeuert werden. Würden sie nachrechnen, wie viel sie dadurch de facto pro Stunde verdienen, würden sie feststellen, dass ihr Stundenlohn unter dem einer Lehrkraft an der Volkshochschule liegt. Aber an einer Volkshochschule unterrichten, wer will das schon? Damit kann man auf Dinnerpartys nicht angeben.
Wer unbedingt Erfolg haben will,
kann bald nicht mehr denken.
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Angestellte lassen sich ihre Freiheit und ihre Rechte abknöpfen und finden das normal. Sie glauben, dass ihr Angestelltenverhältnis dem Chef erlaubt, über ihre Freizeit zu verfügen und ihnen zu nahe treten zu dürfen. Deswegen protestieren sie auch nicht, wenn man ihnen in sogenannten Mitarbeitergesprächen Vorträge über ihre angeblichen Charakterfehler hält, sondern sie bedanken sich noch für die Kritik und geloben Besserung. Sie arbeiten an sich, um Menschen zu gefallen, die sich nicht für sie interessieren. Und hoffen, dass man ihnen dann erlaubt, aufzusteigen.
Oft erkennt man die Schieflage heutiger Angestelltenverhältnisse erst von außen. In dem Dokumentarfilm Work hard, play hard wird die Lebenswirklichkeit von ganz normalen Angestellten gezeigt. Es beschleicht einen ein unangenehmes Gefühl, wenn man sieht, was Menschen mit sich machen lassen, um ihre Arbeit zu behalten. Sie kooperieren, wenn sie auf Mitarbeiterversammlungen auf den Erfolg eingeschworen oder von externen Unternehmensberatern auf ihre Leistungsbereitschaft geprüft werden. Sie rechtfertigen sich vor wildfremden Menschen und nehmen an absurden Selbsterfahrungstrips teil. Sie hinterfragen sich in Gruppengesprächen und demonstrieren beim Morgenappell ihre Motivation. Unkommentiert führt uns die Filmemacherin Carmen Losmann einen jungen Mann vor, der im Gespräch mit Unternehmensberatern beflissentlich Fragen zu seiner Person und seinem Privatleben beantwortet. Als er zum Abschluss seine »Schwächen« vorgetragen bekommt, beteuert er ununterbrochen, sich die Kritik zu Herzen zu nehmen. Was dort sitzt, scheint kein Mensch mehr zu sein, sondern eine Aufziehpuppe. In der Süddeutschen Zeitung heißt es in einer Filmkritik: »Es sind arme Würstchen, die sich da aus Bäumen abseilen, mit verbundenen Augen durch einen unterirdischen Gang kriechen oder streberhaft Standardantworten eines Bewerbungsgesprächs abspulen. Fast scheinen es Karikaturen zu sein – aber
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