Ich. Darf. Nicht. Schlafen.
Überraschungen. Welche Geheimnisse. Ich sehe das Album auf dem Couchtisch liegen. Darin ist eine Version meiner Vergangenheit, aber eine, die Ben ausgewählt hat. Enthält das Tagebuch eine andere? Ich schlage es auf.
Die erste Seite ist unliniert. Ich habe meinen Namen in schwarzer Tinte in die Mitte geschrieben.
Christine Lucas
. Es ist ein Wunder, dass ich nicht
Vertraulich!
darunter geschrieben habe. Oder
Finger weg!
.
Es ist etwas anderes hinzugefügt worden. Etwas Unerwartetes, Beängstigendes. Beängstigender als alles, was ich heute gesehen habe. Da, unter meinem Namen, stehen drei Wörter in blauer Tinte und Großbuchstaben.
VERTRAUE BEN NICHT .
Mir bleibt nichts anderes übrig, ich blättere um.
Ich beginne, meine Geschichte zu lesen.
Teil zwei Das Tagebuch der Christine Lucas
Freitag, 9. November
Ich heiße Christine Lucas. Ich bin siebenundvierzig. Ich habe Amnesie. Ich sitze hier in diesem mir fremden Bett und schreibe meine Geschichte auf, während ich ein Nachthemd trage, das der Mann unten – der sagt, dass er mein Ehemann ist, dass er Ben heißt – angeblich zu meinem sechsundvierzigsten Geburtstag für mich gekauft hat. Das Zimmer ist still, und das einzige Licht kommt von der Lampe auf dem Nachttisch – ein sanfter orangegelber Schein. Ich komme mir vor, als würde ich schwerelos in einem Tümpel aus Licht treiben.
Ich habe die Schlafzimmertür geschlossen. Ich schreibe das hier für mich allein. Heimlich. Ich kann meinen Mann unten im Wohnzimmer hören – das leise Seufzen des Sofas, wenn er sich vorbeugt oder aufsteht, ein gelegentliches Hüsteln, höflich unterdrückt –, aber ich werde dieses Tagebuch verstecken, wenn er nach oben kommt. Ich werde es unters Bett schieben oder unters Kissen. Ich möchte nicht, dass er mich darin schreiben sieht. Ich möchte ihm nicht erzählen müssen, woher ich es habe.
Ich schaue auf die Uhr auf dem Nachttisch. Es ist fast elf. Ich muss schnell schreiben. Bestimmt werde ich bald hören, wie der Fernseher ausgemacht wird, das Knarren eines Dielenbretts, wenn Ben den Raum durchquert, das Klicken eines Lichtschalters. Wird er in die Küche gehen und sich ein Glas Wasser eingießen? Oder wird er gleich hochkommen? Ich weiß es nicht. Ich kenne seine Rituale nicht. Ich kenne meine eigenen nicht.
Weil ich keine Erinnerungen habe. Laut Ben, laut dem Arzt, bei dem ich heute Nachmittag war, wird mein Gehirn diese Nacht, während ich schlafe, alles löschen, was ich heute weiß. Ich werde morgen früh so aufwachen, wie ich heute Morgen aufgewacht bin. In dem Glauben, ich wäre noch ein Kind. In dem Glauben, ich hätte noch ein ganzes Leben voller Entscheidungsmöglichkeiten vor mir.
Und dann werde ich wieder einmal feststellen, dass ich mich irre. Meine Entscheidungen sind bereits getroffen worden. Mein halbes Leben liegt hinter mir.
Der Arzt hieß Dr. Nash. Er hat mich heute Morgen angerufen, mich mit seinem Wagen abgeholt, mich zu seiner Praxis gefahren. Auf seine Frage hin habe ich ihm gesagt, dass ich ihm noch nie begegnet bin. Er hat gelächelt – aber nicht unfreundlich – und den Deckel von dem Computer aufgeklappt, der auf seinem Schreibtisch stand.
Er hat mir einen Film vorgespielt. Eine Videoaufnahme. Sie zeigte ihn und mich, wie wir in demselben Praxisraum saßen, anders gekleidet, aber in denselben Sesseln. In dem Film gab er mir einen Stift und bat mich, Formen auf ein Blatt Papier zu zeichnen, aber ich sollte dabei in den Spiegel schauen, so dass alles verkehrt herum aussah. Ich konnte sehen, dass mir das schwerfiel, aber während ich nun zuschaute, fielen mir nur meine runzeligen Finger und das Blitzen des Eherings an meiner linken Hand auf. Als ich fertig war, schien er erfreut. »Sie werden schneller«, sagte er in dem Video und fügte dann hinzu, dass ich wohl irgendwo tief, tief in mir die Ergebnisse meiner wochenlangen Übungen in Erinnerung behalten hatte, auch wenn ich mich nicht an die Übungen selbst erinnerte. »Das bedeutet, dass Ihr Langzeitgedächtnis auf irgendeiner Ebene funktioniert«, sagte er. Ich lächelte daraufhin, aber ich sah nicht froh aus. Der Film endete.
Dr. Nash klappte seinen Computer zu. Er sagte, dass wir uns in den vergangenen Wochen regelmäßig getroffen hätten. Dass bei mir etwas, das sich episodisches Gedächtnis nennt, schwer gestört sei. Er erklärte, dass ich mich deshalb an keine Ereignisse oder autobiographischen Details erinnern kann, und er meinte, die Ursache dafür sei
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