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Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. J. Watson
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Radio pfiff, nicht mein Vater war oder ein Mitbewohner oder ein Lover, sondern dass er Ben hieß und mein Ehemann war.
    Vor der Küche zögerte ich. Ich hatte Angst. Gleich würde ich ihm begegnen, als wäre es das erste Mal. Wie mochte er sein? Würde er so aussehen wie auf den Fotos? Oder lieferten auch die ein falsches Bild? Würde er älter sein, dicker, mit weniger Haaren? Wie würde er klingen? Wie würde er sich bewegen? Hatte ich eine gute Partie gemacht?
    Von irgendwoher kam eine Vision. Eine Frau – meine Mutter? – sagt mir, ich solle vorsichtig sein.
Jung gefreit …
    Ich schob die Tür auf. Ben stand mit dem Rücken zu mir, schob mit einem Pfannenwender brutzelnde Schinkenstreifen in der Pfanne hin und her. Er hatte mich nicht hereinkommen hören.
    »Ben?«, sagte ich. Er drehte sich rasch um.
    »Christine? Ist alles in Ordnung?«
    Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, daher sagte ich: »Ja. Ich glaube schon.«
    Dann lächelte er, Erleichterung im Gesicht, und ich lächelte auch. Er sah älter aus als auf den Fotos im Bad – er hatte mehr Falten, sein Haar wurde allmählich grau und ging an den Schläfen leicht zurück –, doch das tat seiner Attraktivität keinen Abbruch, eher im Gegenteil. Sein kräftiges Kinn passte gut zu einem älteren Mann, und seine Augen hatten etwas Verschmitztes. Ich merkte, dass er einer leicht älteren Version meines Vaters ähnelte. Es könnte schlimmer sein, dachte ich. Viel schlimmer.
    »Hast du die Fotos gesehen?«, fragte er. Ich nickte. »Keine Sorge. Ich erklär dir alles. Geh doch schon mal durch und setz dich.« Er deutete nach hinten zum Flur. »Da drüben ist das Esszimmer. Bin gleich da. Hier, nimm die mit.«
    Er gab mir eine Pfeffermühle, und ich ging ins Esszimmer. Kurz darauf kam er mit zwei Tellern hinterher. Ein blasser Schinkenstreifen schwamm in Fett, ein Spiegelei und eine geröstete Brotscheibe lagen daneben. Ich aß, während er mir erklärte, wie ich mein Leben bewältige.
    Heute ist Samstag, sagte er. Die Woche über arbeitet er. Er ist Lehrer. Er erzählte mir von dem Telefon in meiner Handtasche, der Tafel an der Wand in der Küche. Er zeigte mir, wo wir unseren Notgroschen aufbewahren – zwei Zwanzigpfundscheine, fest zusammengerollt und hinter der Uhr auf dem Kaminsims versteckt – und das Album, in dem ich mir Bruchstücke meines Lebens ansehen kann. Er erklärte, dass wir zu zweit zurechtkommen. Ich wusste nicht recht, ob ich ihm glauben sollte, aber was blieb mir anderes übrig.
    Wir aßen zu Ende, und ich half ihm, den Tisch abzuräumen. »Wir könnten einen kleinen Spaziergang machen, später«, sagte er. »Wenn du magst?« Ich sagte ja, und er blickte erfreut. »Ich lese nur noch eben die Zeitung«, sagte er. »Okay?«
    Ich ging nach oben. Sobald ich allein war, drehte sich mir alles im Kopf, der voll und leer zugleich war. Ich fühlte mich unfähig, irgendetwas festzuhalten. Nichts schien real. Ich betrachtete das Haus, in dem ich war – von dem ich jetzt wusste, dass es mein Zuhause war –, mit Augen, die es noch nie wahrgenommen hatten. Einen Moment lang wäre ich am liebsten weggelaufen. Ich musste mich beruhigen.
    Ich setzte mich auf den Rand des Bettes, in dem ich geschlafen hatte. Ich sollte das Bett machen, dachte ich. Aufräumen. Mich beschäftigen. Ich nahm das Kissen, um es aufzuschütteln, und als ich das tat, fing plötzlich etwas an zu summen.
    Ich wusste nicht, was es war. Das Geräusch war leise, anhaltend. Eine Melodie, dünn und still. Meine Tasche lag auf dem Boden, und als ich sie aufhob, merkte ich, dass das Summen aus ihr kam. Mir fiel ein, was Ben mir von dem Telefon erzählt hatte.
    Das Telefon leuchtete, als ich es herausnahm. Ich starrte es einen Moment lang an. Ein Teil von mir, tief verborgen oder irgendwo am äußersten Rand des Gedächtnisses, wusste genau, um was für einen Anruf es sich handelte. Ich ging ran.
    Die Stimme eines Mannes. »Hallo?«, sagte er. »Christine? Christine, sind Sie da?«
    Ich bejahte.
    »Hier spricht Ihr Arzt. Alles in Ordnung mit Ihnen? Ist Ben in der Nähe?«
    »Nein«, sagte ich. »Er ist – Was wollen Sie?«
    Er nannte mir seinen Namen und sagte, wir würden seit einigen Wochen zusammen arbeiten. »An Ihrem Erinnerungsvermögen«, sagte er, und als ich nichts erwiderte, sagte er: »Bitte vertrauen Sie mir. Bitte schauen Sie in Ihren Schlafzimmerschrank.« Er stockte kurz, dann sprach er weiter. »Ganz unten im Schrank steht ein Schuhkarton. Sehen Sie

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