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Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. J. Watson
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darunter:
Eine Party
.
    Ich schloss die Augen.
     
    Ich versuchte, an die Party zu denken, an die ich mich erinnert hatte, als ich mir zusammen mit Ben das Feuerwerk ansah. Ich versuchte, mich auf dem Dach neben meiner Freundin zu sehen, den Partylärm unter uns zu hören, das Feuerwerk in der Luft zu schmecken.
    Bilder tauchten auf, aber sie waren irgendwie nicht real. Ich merkte, dass ich mich nicht an sie erinnerte, sondern sie erfand.
    Ich versuchte, Keith zu sehen, mich zu erinnern, wie er mich ignorierte, aber es kam einfach nichts. Diese Erinnerungen waren erneut für mich verloren. Wie für immer vergraben, obwohl ich jetzt wenigstens weiß, dass sie existieren, dass sie da drin sind, irgendwo, eingeschlossen.
    Meine Gedanken schweiften zu Kinderpartys. Geburtstage, mit meiner Mutter und Tante und meiner Cousine Lucy. Twister. Flaschendrehen. Die Reise nach Jerusalem. Stille Post. Meine Mutter mit Tüten Süßigkeiten, die als Preise eingepackt werden sollen. Sandwichs mit Schmalzfleisch und Fischpaste und abgeschnittener Kruste. Trifle und Wackelpudding.
    Ich erinnerte mich an ein weißes Kleid mit Rüschen an den Ärmeln, Rüschensöckchen, schwarze Schuhe. Mein Haar ist noch blond, und ich sitze an einem Tisch vor einem Kuchen mit Kerzen drauf. Ich hole tief Atem, beuge mich vor, puste. Rauch steigt in die Luft.
    Dann drängten Erinnerungen an eine andere Party auf mich ein. Ich sah mich zu Hause, wie ich zum Fenster meines Zimmers hinausschaute. Ich bin nackt, etwa siebzehn. Auf der Straße sind Tapeziertische aufgebaut, in langen Reihen, beladen mit Tabletts voller Würstchen im Schlafrock und Sandwichs, Krüge mit Orangensaft. Überall hängen Union Jacks, die Fenster sind mit Wimpeln geschmückt. Blau. Rot. Weiß.
    Kinder haben sich verkleidet – als Piraten, Hexen, Wikinger –, und die Erwachsenen versuchen, Mannschaften fürs Eierlaufen aufzustellen. Ich sehe meine Mutter auf der anderen Straßenseite, wo sie Matthew Soper gerade ein Cape umbindet, und direkt unter meinem Fenster sitzt mein Vater mit einem Glas Saft auf einem Klappstuhl.
    »Komm zurück ins Bett«, sagt eine Stimme. Ich drehe mich um. Dave Soper sitzt auf meinem schmalen Bett, unter meinem Poster von den Slits. Das weiße Laken um ihn herum ist zerknittert, blutbefleckt. Ich hatte ihm nicht gesagt, dass es mein erstes Mal war.
    »Nein«, sage ich. »Steh auf und zieh dich an! Meine Eltern können jeden Augenblick reinkommen!«
    Er lacht, aber nicht unfreundlich. »Komm her!«
    Ich ziehe meine Jeans an. »Nein«, sage ich, als ich nach einem T-Shirt greife. »Steh auf. Bitte.«
    Er wirkt enttäuscht. Ich habe das hier nicht geplant – was nicht heißen soll, dass ich es nicht gewollt habe –, und jetzt möchte ich allein sein. Es hat überhaupt nichts mit ihm zu tun.
    »Okay«, sagt er und steht auf. Sein Körper wirkt blass und dünn, sein Penis beinahe lächerlich. Ich schaue weg, während er sich anzieht, blicke zum Fenster hinaus. Meine Welt hat sich verändert, denke ich. Ich habe eine Grenze überschritten, und ich kann nicht mehr zurück. »Bis dann«, sagt er, aber ich antworte nicht. Ich schaue mich erst wieder um, als er weg ist.
     
    Eine Stimme in meinem Ohr holte mich in die Gegenwart zurück. »Gut. Jetzt kommen weitere Bilder, Christine«, sagte Dr. Paxton. »Schauen Sie sich jedes einzelne an und sagen Sie sich, was oder wer das ist. Okay? Fertig?«
    Ich schluckte schwer. Was würden sie mir zeigen?, dachte ich. Wen? Wie schlimm könnte es werden?
    Ja
, dachte ich bei mir, und es ging los.
     
    Das erste Foto war schwarzweiß. Ein Kind – ein Mädchen, vier, fünf Jahre alt –, auf dem Arm einer Frau. Das Mädchen zeigte auf etwas, und sie lachten beide, und im Hintergrund, leicht unscharf, war ein Gitter, hinter dem ein Tiger lag.
Eine Mutter
, dachte ich.
Eine Mutter. Im Zoo.
Und dann schaute ich dem Kind ins Gesicht und erkannte, dass ich das kleine Mädchen war und die Frau meine Mutter. Der Atem stockte mir in der Kehle. Ich konnte mich nicht erinnern, je in einem Zoo gewesen zu sein, aber offenbar doch, wie das Foto bewies.
Ich
, sagte ich leise, als mir Dr. Paxtons Anweisung einfiel.
Mutter.
Ich starrte auf den Bildschirm, versuchte, mir ihr Bild ins Gedächtnis einzubrennen, doch das Foto verblasste und wurde durch ein anderes ersetzt, ebenfalls von meiner Mutter, jetzt älter, obwohl sie noch nicht so aussah, als würde sie den Gehstock brauchen, auf den sie sich stützte. Sie lächelte, wirkte

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