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Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. J. Watson
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Art.
    »Ach ja«, sagte er, mit einer Heiterkeit, die gezwungen klang. »Ich hab Ihnen was mitgebracht. Ein Geschenk. Na ja, kein richtiges Geschenk, bloß etwas, das Sie vielleicht gern hätten.« Er griff nach seiner Aktentasche, die auf dem Boden stand. »Wahrscheinlich haben Sie ja schon eine Ausgabe«, sagte er und öffnete die Tasche. Er zog ein Päckchen heraus. »Bitte sehr.«
    Ich wusste, was es war, schon als ich es entgegennahm. Was konnte es sonst sein? Es wog schwer in meiner Hand. Er hatte es in einen wattierten Umschlag gesteckt, mit Klebeband zugeklebt. Mein Name war mit dickem schwarzen Textmarker daraufgeschrieben.
Christine
. »Es ist Ihr Roman«, sagte er. »Den Sie geschrieben haben.«
    Ich wusste nicht, was ich empfinden sollte. Beweismaterial, dachte ich. Der Beleg dafür, dass das, was ich ins Tagebuch geschrieben habe, der Wahrheit entspricht, falls ich morgen einen Beleg brauche.
    Ich zog das Buch aus dem Umschlag. Es war eine Taschenbuchausgabe, nicht neu. Vorn auf dem Deckel war ein Kaffeering, und die Ränder der Seiten waren vergilbt. Ich fragte mich, ob Dr. Nash mir seine eigene Ausgabe geschenkt hatte. Ob der Roman überhaupt noch erhältlich ist. Während ich das Buch hielt, sah ich mich wieder so, wie ich mich neulich gesehen hatte; jünger, deutlich jünger, nach diesem Roman greifend, um einen Weg zum nächsten zu finden. Irgendwie wusste ich, dass das nicht geklappt hatte – der zweite Roman war nie vollendet worden.
    »Danke«, sagte ich. »Vielen Dank.«
    Er lächelte. »Nicht der Rede wert.«
    Ich steckte das Buch unter die Jacke, wo es auf dem ganzen Weg nach Hause wie ein Herz schlug.
    ***
    Zu Hause angekommen, warf ich nur einen kurzen Blick auf den Roman. Ich wollte möglichst viel von meinen Erinnerungen aufschreiben, ehe Ben von der Arbeit kam, doch sobald ich fertig war und das Tagebuch versteckt hatte, eilte ich nach unten, um mir das Geschenk genauer anzusehen.
    Ich betrachtete das Cover. Es zeigte eine Pastellzeichnung von einem Schreibtisch, auf dem eine Schreibmaschine stand. Auf dem Wagen hockte eine Krähe, den Kopf leicht schief, als würde sie lesen, was auf dem eingespannten Blatt stand. Über der Krähe stand mein Name und darüber der Titel.
    Für die Vögel des Morgens
, stand da.
Christine Lucas
.
    Meine Hände begannen zu zittern, als ich das Buch aufschlug. Auf dem Titelblatt stand eine Widmung.
Für meinen Vater
, und dann die Worte,
Du fehlst mir
.
    Ich schloss die Augen. Das Zucken einer Erinnerung. Ich sah meinen Vater, in einem Bett, unter grellweißen Lampen, seine Haut durchscheinend, mit einem Schweißfilm überzogen, so dass er fast glänzte. Ich sah einen Schlauch in seinem Arm, einen Beutel mit klarer Flüssigkeit an einem Infusionsständer, eine Pappschale und ein Tablettenröhrchen. Eine Krankenschwester fühlte ihm den Puls, maß den Blutdruck, und er wurde nicht wach. Meine Mutter, die auf der anderen Seite des Bettes saß, versuchte, nicht zu weinen, während ich versuchte, die Tränen herbeizuzwingen.
    Dann kam ein Geruch. Schnittblumen und tiefe, fette Erde. Süß und widerlich. Ich sah den Tag, an dem wir ihn einäscherten. Ich trage Schwarz – was, wie ich irgendwie weiß, nicht ungewöhnlich ist –, doch diesmal ohne Make-up. Meine Mutter sitzt neben meiner Großmutter. Die Vorhänge öffnen sich, der Sarg gleitet davon, und ich weine, stelle mir vor, wie mein Vater in Staub und Asche verwandelt wird. Meine Mutter drückt meine Hand, und dann gehen wir nach Hause und trinken billigen Perlwein und essen Sandwichs, während die Sonne untergeht und meine Mutter sich im Halbdunkel auflöst.
    Ich seufzte. Das Bild verschwand, und ich öffnete die Augen. Mein Roman, vor mir.
    Ich schlug die erste Seite auf, den Anfang.
In dem Moment,
hatte ich geschrieben,
als der Motor aufheulte und sie das Gaspedal durchtrat, ließ sie das Lenkrad los und schloss die Augen. Sie wusste, was passieren würde. Sie wusste, wohin das führen würde. Sie hatte es immer gewusst.
    Ich blätterte weiter bis zur Mitte des Romans. Ich las dort einen Absatz, und dann noch einen kurz vor dem Schluss.
    Ich hatte über eine Frau namens Lou geschrieben, einen Mann – ihren Ehemann, vermutete ich – namens George, und der Roman schien während eines Krieges zu spielen. Ich war enttäuscht. Ich weiß nicht, was ich mir erhofft hatte – eine Autobiographie vielleicht? –, doch wie es aussah, konnte der Roman mir, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkt

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