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Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. J. Watson
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aber erschöpft, die Augen tief eingesunken in ihrem schmalen Gesicht.
Meine Mutter
, dachte ich, und andere Worte kamen mir in den Sinn, wie von selbst:
Sie hat Schmerzen
. Ich schloss unwillkürlich die Augen, musste sie wieder aufzwingen. Ich umfasste den Gummiball in meiner Hand fester.
    Dann kamen die Bilder in rascherer Folge, und ich erkannte nur ein paar davon. Eines war von der Freundin, die ich in meiner Erinnerung gesehen hatte, und mit einem freudigen Schauer erkannte ich sie fast auf Anhieb. Sie sah genauso aus, wie ich sie gesehen hatte, bekleidet mit einer alten Bluejeans und einem T-Shirt, rauchend, das rote Haar offen und zerzaust. Auf einem anderen Bild trug sie das Haar kurz und schwarz gefärbt und eine Sonnenbrille hoch auf die Stirn geschoben. Es folgte ein Foto von meinem Vater – so wie er aussah, als ich klein war, lächelnd, glücklich, beim Zeitunglesen in unserem Wohnzimmer – und dann eins von mir und Ben, wie wir mit einem anderen Pärchen posierten, das ich nicht erkannte.
    Auf anderen Fotos waren Fremde abgebildet. Eine Schwarze in einer Krankenschwestermontur, eine weitere Frau, die in einem Kostüm vor einem Bücherregal saß und mit ernster Miene über ihre Lesebrille spähte. Ein Mann mit rotbraunem Haar und rundem Gesicht, ein anderer mit Bart. Ein kleiner Junge, sechs oder sieben, der ein Eis aß, und dann später derselbe Junge an einem Schreibtisch, wie er ein Bild malte. Eine Gruppe von Leuten, die in lockerer Aufstellung in die Kamera schauten. Ein Mann, attraktiv, das Haar schwarz und recht lang, mit einer Brille, deren dunkles Gestell schmale Augen umrahmte, und einer senkrechten Narbe über die rechte Gesichtshälfte. Ein Foto folgte auf das andere, und ich versuchte, sie einzuordnen, mich zu erinnern, wie sie – oder auch nur ob sie – in das Gefüge meines Lebens passten. Ich tat, worum ich gebeten worden war. Ich war brav, und doch spürte ich wachsende Panik. Das Surren der Maschine wurde schriller und lauter, bis es wie eine Alarmsirene klang, eine Warnung, und mein Bauch verkrampfte sich und ließ sich nicht mehr entspannen. Ich bekam keine Luft, ich schloss die Augen, und das Gewicht der Decke auf mir wurde immer drückender, schwer wie eine Marmorplatte, und mir war, als würde ich ertrinken.
    Ich drückte die rechte Hand zusammen, doch sie ballte sich zur Faust, schloss sich um nichts. Nägel pressten sich ins Fleisch. Ich hatte den Gummiball fallen lassen. Ich rief, ein wortloser Schrei.
    »Christine«, ertönte eine Stimme in meinem Ohr. »Christine.«
    Ich konnte nicht sagen, wer das war oder was er von mir wollte, und ich rief erneut und fing an, die Decke von meinem Körper zu strampeln.
    »Christine!«
    Die Stimme klang jetzt lauter, und dann erstarb der Sirenenlärm, eine Tür wurde aufgerissen, und es waren Stimmen im Raum, und ich spürte Hände auf mir, an Armen und Beinen und auf der Brust, und ich öffnete die Augen.
    »Alles okay«, sagte Dr. Nash in meinem Ohr. »Es ist überstanden. Ich bin da.«
     
    Nachdem sie mir so lange versichert hatten, dass alles gut werden würde, bis ich mich beruhigte, und nachdem sie mir Handtasche, Ohrringe und Ehering zurückgegeben hatten, gingen Dr. Nash und ich in eine Cafeteria. Sie war im Foyer, klein, mit orangeroten Plastikstühlen und angegilbten Resopaltischen. Vitrinen mit weichem Gebäck und Sandwichs, die in dem grellen Licht langsam schlappmachten. Ich hatte kein Geld dabei, ließ mich aber von Dr. Nash zu einer Tasse Kaffee und einem Stück Möhrenkuchen einladen und setzte mich an einen Tisch am Fenster. Draußen warf die Sonne lange Schatten in den grasbewachsenen Hof, ein paar letzte lila Blüten auf dem Rasen.
    Dr. Nash kam mit einem Tablett, das er vor mich auf den Tisch stellte, und setzte sich. Er wirkte deutlich entspannter, jetzt, wo wir beide allein waren. »Bedienen Sie sich«, sagte er. »Ich hoffe, es schmeckt.«
    Ich sah, dass er sich einen Tee geholt hatte. Der Beutel schwamm noch in der sirupartigen Flüssigkeit, als er sich aus der Schale Zucker mitten auf dem Tisch bediente. Ich trank einen Schluck und verzog das Gesicht. Der Kaffee war bitter und zu heiß.
    »Ja, danke«, sagte ich.
    »Tut mir leid«, sagte er nach einem Augenblick. Zuerst dachte ich, er meinte den Kaffee. »Ich hätte nicht gedacht, dass das für Sie da drin so verstörend werden würde.«
    »Es ist sehr klaustrophobisch«, sagte ich. »Und laut.«
    »Ja, natürlich.«
    »Ich hab den Notknopf fallen

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