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Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. J. Watson
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lassen.«
    Er sagte nichts, sondern rührte stattdessen in seiner Tasse. Er fischte den Teebeutel heraus und legte ihn auf das Tablett. Er nahm einen Schluck.
    »Was ist passiert?«, fragte ich.
    »Schwer zu sagen. Sie sind in Panik geraten. Das ist nicht ungewöhnlich. Es ist da drin ja nicht gerade gemütlich, wie Sie schon sagten.«
    Ich blickte auf mein Stück Kuchen. Unangetastet. Trocken. »Die Fotos. Wer waren die Leute? Woher haben Sie die?«
    »Es war eine Mischung. Ein paar waren in Ihrer Krankenakte. Ben hatte sie zur Verfügung gestellt, vor Jahren. Ein paar haben Sie auf meine Bitte hin selbst von zu Hause mitgebracht, extra für diese Übung. Sie haben gesagt, dass sie rings um den Badezimmerspiegel geklebt waren. Einige habe ich beigesteuert – von Leuten, denen Sie nie begegnet sind. Wir nennen das Kontrollbilder. Wir haben alles durcheinandergemischt. Auf einigen Bildern waren Menschen zu sehen, die Sie kannten, als Sie ganz jung waren, Menschen, an die Sie sich eigentlich erinnern könnten oder müssten. Familie. Freunde. Die Übrigen waren Menschen aus dem Zeitraum in Ihrem Leben, an den Sie sich eindeutig nicht erinnern können. Dr. Paxton und ich wollten herausfinden, ob Sie unterschiedlich auf Erinnerungen aus diesen verschiedenen Zeiträumen zuzugreifen versuchen. Am stärksten war Ihre Reaktion auf Ihren Mann, klar, aber Sie haben auch auf andere reagiert. Obwohl Sie sich nicht an die Menschen aus Ihrer Vergangenheit erinnern, sind die Muster neuronaler Erregung eindeutig vorhanden.«
    »Wer war die rothaarige Frau?«, fragte ich.
    Er lächelte. »Eine alte Freundin vielleicht?«
    »Kennen Sie ihren Namen?«
    »Leider nein. Die Fotos waren in Ihrer Akte. Sie waren nicht beschriftet.«
    Ich nickte.
Eine alte Freundin
. Das wusste ich natürlich – ich hätte nur schrecklich gern gewusst, wie sie hieß.
    »Aber ich habe auf die Fotos reagiert, sagen Sie?«
    »Auf einige, ja.«
    »Ist das gut?«
    »Wir müssen uns die Ergebnisse genauer anschauen, ehe wir wirklich wissen, was wir für Schlüsse ziehen können. Diese Methode ist ganz neu«, sagte er. »Experimentell.«
    »Verstehe.« Ich probierte eine Ecke von dem Möhrenkuchen. Auch er schmeckte bitter, die Glasur zu süß. Wir saßen eine Weile schweigend da. Ich bot ihm meinen Kuchen an, und er lehnte ab, tätschelte seinen Bauch. »Ich muss ein bisschen auf den hier achten!«, sagte er, obwohl ich keinen Grund erkennen konnte, warum er sich in der Hinsicht schon Sorgen machen musste. Sein Bauch war beinahe flach. Allerdings sah er aus, als würde er leicht Speck ansetzen. Doch noch war Dr. Nash jung und kaum berührt vom Alter.
    Ich dachte an meinen eigenen Körper. Ich bin nicht dick, nicht einmal übergewichtig, dennoch überrascht er mich immer wieder. Wenn ich mich hinsetze, nimmt er eine ganz andere Form an, als ich erwarte. Mein Gesäß gibt nach, meine Oberschenkel reiben aneinander, wenn ich die Beine übereinanderschlage. Ich beuge mich vor, um meine Tasse zu nehmen, und meine Brüste bewegen sich im BH , als wollten sie mich an ihre Existenz erinnern. Wenn ich dusche, spüre ich, dass die Haut unter den Armen leicht schwabbelt, kaum merklich. Ich bin ausladender, als ich glaube, ich nehme mehr Platz in Anspruch, als mir bewusst ist. Ich bin kein kleines Mädchen, kompakt, die Haut straff über den Knochen, nicht einmal mehr ein Teenager, mein Körper schichtet allmählich sein Fett auf.
    Ich starrte den ungegessenen Kuchen an und fragte mich, was in der Zukunft passieren wird. Vielleicht werde ich weiter auseinandergehen. Ich werde rundlich werden und dann fett, mich aufblähen wie ein Luftballon. Oder aber meine Figur bleibt, wie sie ist, ohne dass ich mich je daran gewöhne, und ich werde im Badezimmerspiegel beobachten, wie sich die Falten in meinem Gesicht vertiefen und die Haut an meinen Händen so dünn wird wie die einer Zwiebel und ich mich in eine alte Frau verwandele, Stufe für Stufe.
    Dr. Nash senkte den Blick und kratzte sich am Kopf. Durch sein Haar hindurch konnte ich die Kopfhaut sehen, deutlicher in einer Kreisform oben am Hinterkopf. Er hat das wahrscheinlich noch gar nicht bemerkt, dachte ich, aber eines Tages wird er es wissen. Er wird ein Foto von sich sehen, das von hinten aufgenommen wurde, oder es überrascht im Spiegel einer Umkleidekabine feststellen, oder sein Friseur macht ihn darauf aufmerksam oder seine Freundin. Das Alter erwischt uns alle, dachte ich, als er aufsah. Auf die eine oder andere

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