Ich. Darf. Nicht. Schlafen.
komm endlich!«
»Wer ist da?«, sagte ich, aber die Stimme hörte nicht auf. Ich stieg aus der Wanne. Der Boden war gefliest, schwarzweiß, diagonal. Er war nass, ich spürte, wie ich ausrutschte, meine Füße, meine Beine nachgaben. Ich stürzte zu Boden, riss den Duschvorhang ab und auf mich drauf. Im Fallen stieß ich mir den Kopf am Waschbecken. Ich schrie: »Hilfe!«
Dann wachte ich richtig auf, und eine andere, anders klingende Stimme rief mich. »Christine! Chris! Ist alles in Ordnung?«, rief sie, und erleichtert begriff ich, dass es Ben war und ich geträumt hatte. Ich öffnete die Augen. Ich lag in einer Wanne, meine Kleidung gefaltet auf einem Stuhl daneben, Fotos von meinem Leben auf die blauen Fliesen über dem Waschbecken geklebt.
»Ja«, sagte ich. »Alles in Ordnung. Ich hab bloß schlecht geträumt.«
Ich stieg aus der Wanne, aß zu Abend und verschwand dann wieder nach oben ins Bett. Ich wollte schreiben, alles notieren, was ich erfahren hatte, bevor es wieder verschwand. Ich war nicht sicher, ob die Zeit dafür reichen würde, ehe Ben ins Bett kam.
Aber was sollte ich anderes tun? Ich habe heute so viel Zeit mit Schreiben verbracht, dachte ich. Da muss er doch misstrauisch werden, sich fragen, was ich so lange mache, oben, allein. Ich sage ihm ständig, ich bin müde, ich muss mich hinlegen, und er hat mir geglaubt.
Ich kann nicht behaupten, dass ich kein schlechtes Gewissen hätte. Ich habe ihn gehört, wie er durchs Haus schleicht, Türen ganz leise öffnet und schließt, um mich nicht aufzuwecken, während ich über mein Tagebuch gebeugt sitze und wie wild schreibe. Aber ich habe keine Wahl. Ich muss diese Dinge festhalten. Das scheint mir fast wichtiger als alles andere, weil ich sie sonst für immer verliere. Ich muss weiter unter irgendwelchen Vorwänden Zeit für mein Tagebuch herausschinden.
»Ich glaube, ich schlafe diese Nacht mal im Gästezimmer«, habe ich heute Abend gesagt. »Ich bin aufgewühlt. Verstehst du?«
Er hat ja gesagt und dass er am nächsten Morgen nach mir sehen würde, bevor er zur Arbeit geht, sich vergewissern, dass ich wohlauf bin. Dann hat er mir einen Gutenachtkuss gegeben. Ich höre ihn jetzt, wie er den Fernseher ausmacht, die Haustür abschließt. Uns einschließt. Es wäre bestimmt nicht gut für mich, draußen herumzulaufen. Nicht in meinem Zustand.
Ich kann nicht glauben, dass ich in wenigen Augenblicken, wenn ich einschlafe, wieder alles über meinen Sohn vergessen werde. Die Erinnerungen an ihn waren so real, so lebendig – sind es noch immer. Und ich habe mich auch noch an ihn erinnert, nachdem ich in der Wanne eingedöst war. Es kommt mir schier unvorstellbar vor, dass ein längerer Schlaf das alles auslöschen wird, doch Ben und Dr. Nash sagen, dass genau das passiert.
Darf ich hoffen, dass sie sich täuschen? Ich erinnere mich jeden Tag an mehr, weiß nach dem Aufwachen mehr darüber, wer ich bin. Vielleicht bin ich auf einem guten Weg, vielleicht hilft mir dieses Tagebuch, meine Erinnerungen an die Oberfläche zu holen.
Vielleicht ist heute der Tag, auf den ich irgendwann als den Tag des großen Durchbruchs zurückblicken werde. Es wäre möglich.
Ich bin jetzt müde. Gleich werde ich den Stift beiseitelegen, dann das Tagebuch verstecken und das Licht ausmachen. Schlafen. Beten, dass ich mich morgen beim Aufwachen noch an meinen Sohn erinnern kann.
Donnerstag, 15. November
Ich war im Bad. Ich wusste nicht, wie lange ich da gestanden und einfach nur geschaut hatte. Diese vielen Fotos von mir und Ben, auf denen wir glücklich lächelten, wo wir doch eigentlich zu dritt hätten sein müssen. Ich starrte darauf, reglos, als glaubte ich, dass dann Adams Bild auftauchen könnte, durch reine Willenskraft. Aber es passierte nicht. Er blieb unsichtbar.
Ich war ohne jede Erinnerung an ihn aufgewacht. Nicht die geringste. Ich glaubte, Mutterschaft wäre für mich noch Zukunftsmusik, strahlend und beunruhigend. Selbst nachdem ich mein nicht mehr junges Gesicht gesehen und erfahren hatte, dass ich verheiratet war, alt genug, um bald Enkelkinder zu haben – selbst nachdem mich diese Erkenntnisse regelrecht umgehauen hatten –, war ich nicht auf das Tagebuch gefasst, das ich im Kleiderschrank aufbewahrte, wie ich von Dr. Nash erfuhr, als er anrief. Ich rechnete nicht mit der Entdeckung, dass ich auch Mutter bin. Dass ich ein Kind geboren habe.
Ich hielt das Tagebuch in der Hand. Sobald ich es las, wusste ich, dass es stimmt. Ich habe ein
Weitere Kostenlose Bücher