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Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. J. Watson
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Sitz, der die Form eines Marienkäfers hatte und mit einer dicken Sprungfeder am Boden befestigt war. Ich sah zu, wie er vor und zurück wippte, in einer Hand ein Eis, trotz der Kälte.
    Urplötzlich hatte ich eine Vision von mir und einem anderen kleinen Mädchen im Park. Ich sah uns beide zu einem Holzkäfig hochklettern, aus dem wir auf einer Metallrutsche nach unten gleiten konnten. Wie hoch mir das vorgekommen war, damals, doch jetzt, als ich auf den Spielplatz schaute, sah ich, dass es nicht viel höher gewesen sein konnte, als ich groß bin. Wir machten unsere Sachen schmutzig und wurden von unseren Müttern ausgeschimpft, und wenn wir nach Hause hüpften, hielten wir Tüten mit Süßigkeiten oder orangegelben Kartoffelchips in der Hand.
    War das eine Erinnerung? Oder Erfindung?
    Ich sah dem Jungen zu. Er war allein. Der Park schien ansonsten menschenleer. Nur wir beide, in der Kälte, unter einem nun dunkel verhangenen Himmel. Ich trank einen Schluck Kaffee.
    »Hallo!«, rief der Junge. »Hallo! Tante!«
    Ich sah auf, blickte dann nach unten auf meine Hände.
    »Hallo!« Er rief lauter. »Tante! Hilf mir mal! Schubs mich an!«
    Er stand auf und lief zu dem Karussell. »Anschubsen!«, sagte er. Er versuchte, das Metallgerät in Bewegung zu setzen, doch trotz der Anstrengung, die sich in seinem Gesicht zeigte, brachte er es kaum von der Stelle. Er gab auf und blickte enttäuscht. »Bitte?«, sagte er.
    »Du schaffst das schon!«, rief ich. Seine Enttäuschung wurde noch größer. Ich nippte wieder an meinem Kaffee. Ich würde hier warten, beschloss ich, bis seine Mutter zurückkam, von woher auch immer. Ich würde auf ihn aufpassen.
    Er kletterte auf das Karussell, stellte sich genau in die Mitte. »Schubs mich doch!«, sagte er wieder. Seine Stimme war leiser. Flehend. Ich wünschte, ich wäre nicht hergekommen, wünschte ihn fort. Ich fühlte mich der Welt fern. Unnatürlich. Gefährlich. Ich dachte an die Fotos, die ich von der Wand gerissen und im Bad verstreut liegen gelassen hatte. Ich war hergekommen, weil ich meine Ruhe haben wollte. Nicht das.
    Ich sah den Jungen an. Er versuchte jetzt wieder, sich selbst anzuschubsen, doch er kam von der Plattform kaum mit den Füßen an den Boden. Er sah so zerbrechlich aus. Hilflos. Ich ging zu ihm rüber.
    »Du musst mich anstoßen!«, sagte er. Ich stellte meinen Kaffee auf den Boden und lächelte.
    »Halt dich fest!«, sagte ich. Ich drückte mein Gewicht gegen die Stange. Das Karussell war erstaunlich schwer, aber ich spürte, wie es nachgab, und schließlich schob ich es im Laufschritt mit, bis es richtig in Fahrt kam. »Los geht’s!«, sagte ich. Ich setzte mich auf den Rand der Plattform.
    Er strahlte vor Begeisterung, umklammerte die Metallstange mit beiden Händen, als würden wir uns wesentlich schneller drehen, als es tatsächlich der Fall war. Seine Hände sahen kalt aus, fast blau. Er trug eine grüne Jacke, die viel zu dünn aussah, eine Jeans, die unten umgeschlagen war. Ich fragte mich, wer ihn ohne Handschuhe oder Schal oder Mütze nach draußen geschickt hatte.
    »Wo ist denn deine Mummy?«, fragte ich. Er zuckte mit den Schultern. »Und dein Daddy?«
    »Weiß nicht«, sagte er. »Mummy sagt, Daddy ist weg. Sie sagt, er hat uns nicht mehr lieb.«
    Ich sah ihn an. Er hatte das ohne eine Spur von Schmerz oder Enttäuschung gesagt. Für ihn war es eine schlichte Feststellung. Einen Moment lang schien das Karussell völlig still zu stehen, als würde die Welt sich um uns beide drehen statt wir uns in ihr.
    »Deine Mummy hat dich doch ganz bestimmt lieb, oder?«, fragte ich.
    Er schwieg einige Sekunden lang. »Manchmal«, sagte er.
    »Aber manchmal nicht?«
    Er zögerte. »Ich glaub schon.« Ich spürte ein Dröhnen in der Brust, als würde sich irgendetwas herumwälzen. Oder erwachen. »Sie sagt das. Manchmal.«
    »Das ist traurig«, sagte ich. Ich sah die Bank, auf der ich gesessen hatte, auf uns zukommen, dann zurückweichen. Wir drehten uns, immer im Kreis.
    »Wie heißt du?«, fragte ich.
    »Alfie«, sagte er.
    Wir wurden langsamer, die Welt kam hinter seinem Kopf zum Stillstand. Meine Füße berührten den Boden, und ich stieß uns ab, brachte uns wieder in Schwung. Ich sagte seinen Namen vor mich hin.
Alfie
.
    »Mummy sagt manchmal, sie wäre besser dran, wenn ich woanders leben würde«, sagte er.
    Ich bemühte mich, weiter zu lächeln, meine Stimme heiter klingen zu lassen. »Das meint sie doch bestimmt nicht ernst, oder?«
    Er zuckte die

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