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Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. J. Watson
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für mich da sei, immer für mich da sein würde. Ich klammerte mich an ihn, und wir saßen da, wiegten uns zusammen hin und her. Ich fühlte mich wie betäubt, weit weg von dem Zimmer, in dem wir saßen. Ich beobachtete ihn, als er mir ein Glas Wasser holte, beobachtete, wie er die Schatulle mit den Fotos schloss. Ich schluchzte. Ich sah ihm an, dass auch er aufgewühlt war, doch schon jetzt schien noch etwas anderes in seinem Gesichtsausdruck zu liegen. Resignation vielleicht oder Akzeptanz, aber kein Entsetzen.
    Mit einem Schaudern begriff ich, dass er das alles schon öfter gemacht hat. Seine Trauer ist nicht neu. Sie hat Zeit gehabt, sich in ihm einzunisten, Teil seines Fundaments zu werden und es nicht mehr ins Wanken zu bringen.
    Nur meine Trauer ist frisch, jeden Tag.
    Ich ging unter einem Vorwand nach oben, ins Schlafzimmer. Wieder zum Kleiderschrank. Ich schrieb weiter.
    ***
    Diese gestohlenen Momente. Vor dem Kleiderschrank kniend oder ans Bett gelehnt. Ich schreibe. Fieberhaft. Es strömt nur so aus mir heraus, fast ohne nachzudenken. Seite für Seite. Ich bin jetzt wieder hier, während Ben glaubt, ich würde mich ausruhen. Ich kann nicht aufhören. Ich möchte alles aufschreiben.
    Ich frage mich, ob es auch so war, als ich meinen Roman schrieb, ob sich alles förmlich auf die Seite ergoss. Oder war das langsamer vonstatten gegangen, überlegter? Ich wünschte, ich könnte mich erinnern.
     
    Nachdem ich nach unten gegangen war, machte ich für uns beide eine Tasse Tee. Während ich die Milch einrührte, überlegte ich, wie oft ich für Adam Mahlzeiten zubereitet hatte, Gemüse püriert, Saft gepresst. Ich ging mit dem Tee zu Ben ins Wohnzimmer. »War ich eine gute Mutter?«, fragte ich und reichte ihm die Tasse.
    »Christine –«
    »Ich muss das wissen«, sagte ich. »Ich meine, wie habe ich das geschafft? Mit einem Kind? Er muss ja noch sehr klein gewesen sein, als ich –«
    »– als du den Unfall hattest?«, fiel er mir ins Wort. »Er war zwei. Aber du warst eine wunderbare Mutter. Bis es passiert ist. Danach, nun ja …«
    Er verstummte, ließ den Rest des Satzes fallen und wandte sich ab. Ich fragte mich, was er unausgesprochen ließ, was er mir lieber verschweigen wollte.
    Ich wusste jedoch genug, um ein paar Leerstellen zu füllen. Ich kann mich zwar nicht an diese Zeit erinnern, aber ich kann sie mir vorstellen. Ich kann mir denken, dass ich jeden Tag aufs Neue daran erinnert werden musste, dass ich verheiratet und Mutter war, dass mein Mann und mein Sohn mich besuchen kommen würden. Ich kann mir vorstellen, wie ich die beiden jeden Tag begrüßte, als hätte ich sie noch nie gesehen, leicht unterkühlt vielleicht oder einfach nur verwirrt. Ich kann sehen, wie schmerzhaft es für uns gewesen sein muss. Für uns alle.
    »Schon gut«, sagte ich. »Ich verstehe.«
    »Du konntest dich nicht selbst versorgen. Und ich konnte dich nicht zu Hause versorgen, dazu warst du zu krank. Man konnte dich nicht allein lassen, nicht mal für kurze Zeit. Du hast ständig vergessen, womit du gerade beschäftigt warst. Bist abgeglitten. Ich hatte Angst, du würdest dir ein Bad einlaufen lassen und das Wasser nicht abstellen oder dir etwas zu essen kochen und vergessen, dass der Topf auf der glühenden Herdplatte steht. Ich war einfach überfordert. Also bin ich zu Hause geblieben und hab mich um Adam gekümmert. Meine Mutter hat mir geholfen. Aber wir haben dich jeden Abend besucht und –«
    Ich nahm seine Hand.
    »Entschuldige«, sagte er. »Es fällt mir einfach schwer, an diese Zeit zu denken.«
    »Ich weiß«, sagte ich. »Ich weiß. Aber was war mit meiner Mutter? Hat sie auch geholfen? War sie gern Großmutter?« Er nickte und sah aus, als wollte er etwas sagen. »Sie ist tot, nicht wahr?«, sagte ich.
    Er drückte meine Hand. »Sie ist vor ein paar Jahren gestorben. Es tut mir leid.«
    Ich hatte recht gehabt. Ich spürte, wie mein Verstand abschaltete, als könne er nicht noch mehr Trauer verkraften, nicht noch mehr von dieser dunklen Vergangenheit, aber ich wusste ja, wenn ich morgen aufwachte, würde ich mich an nichts von alledem erinnern können.
    Was konnte ich in mein Tagebuch schreiben, das mich den morgigen Tag überstehen lassen würde, den Tag darauf, den übernächsten?
    Plötzlich schwebte ein Bild vor mir. Eine Frau mit roten Haaren. Adam bei der Army. Ungebeten tauchte ein Name auf.
Was wird Claire davon halten?
    Und da war er. Der Name meiner Freundin.
Claire
.
    »Und Claire?«, sagte ich.

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