Ich darf nicht vergessen
dass Sie hier zu finden sein könnten, ist uns gar nicht in den Sinn gekommen.
Warum sucht die Polizei nach mir?, fragst du. Ich bin erwachsen. Wohin ich gehe und was ich tue, geht niemanden etwas an.
Ich fürchte, da irren Sie sich, sagt die Frau.
Das ist doch lächerlich. Ich war heute Morgen bei Amanda, sagst du. Wir haben zusammen gefrühstückt. Im Ann Satherâs auf der Belmont Street. Da treffen wir uns jeden Freitag zum Frühstück.
Amanda OâToole ist seit über sieben Monaten tot, Dr. White.
Unmöglich. Sie hat mir heute Morgen gegenübergesessen und schwedische Pfannkuchen gegessen, sagst du. Sie hat sich wie immer bei der Kellnerin über den Kaffee beschwert. Und ihr nachher übertrieben viel Trinkgeld gegeben. Ein typisches Frühstück an einem typischen Tag am Ende einer typischen Woche.
Sie müssen mit mir kommen, Dr. White.
Hinter der Frau tauchen immer mehr Gesichter auf, die vom Korridor aus ins Zimmer lugen. Neugierige, nicht besonders freundliche Gesichter. Du lässt die Arme hängen und richtest dich auf. Also gut. Aber Sie halten mich von wichtiger Arbeit ab. Ihretwegen werden viele von denen, die Sie im Wartezimmer gesehen haben, heute nicht behandelt werden können.
Die Frau sagt nichts dazu, sondern zeigt auf die Tür. Widerstrebend verlässt du das Zimmer vor ihr. Du spürst ihre Hand auf deiner Schulter, mit der sie dich führt. Die Leute machen dir Platz, als du schweigend die Sozialklinik verlässt.
D u sitzt auf dem Beifahrersitz eines kleinen, braunen Autos mit Sitzbezügen in verschossenem grün-und-cremefarbenen Pepita. Der Sicherheitsgurt klemmt, und du hältst ihn mit der Hand über deinen Hüften fest. Die Frau schaut dich an und lächelt. Ich hoffe bloÃ, wir werden jetzt nicht angehalten, sagt sie. Das hätte mir gerade noch gefehlt. Sie legt den Rückwärtsgang ein, setzt zurück, touchiert den Wagen hinter ihr, legt den ersten Gang ein und fährt vorsichtig aus der Parklücke.
Ihre Tochter macht sich Sorgen um Sie, sagt sie, während sie sich in den Verkehr einfädelt. Es ist später Nachmittag, der Berufsverkehr hat angefangen, und die Chicago Avenue ist in beide Richtungen verstopft.
Fiona?, fragst du. Aber warum denn? Sie weià doch, wo sie mich findet. Ich bin jede Woche hier.
Trotzdem, sagt die Frau. Sie trommelt mit den Fingern auf dem Lenkrad herum. Sie befindet sich auf der rechten Fahrspur hinter einem roten Honda-Minivan. Plötzlich schaltet sie den Blinker ein, reiÃt das Steuerrad herum und wechselt auf die linke Spur. Hupen ertönen.
Fahren wir zum Krankenhaus?, fragst du. Hat mein Pager gepiept?
Die Frau schüttelt den Kopf. Nein, sagt sie. Sie nimmt ein kleines Telefon aus der Mittelkonsole. Sie drückt auf einen Knopf, hält sich das Telefon ans Ohr und fängt dann laut an zu sprechen. Hallo, Fiona, hier spricht Detective Luton. Ich habe Ihre Mutter gefunden. In der New Hope Clinic. Sie hat dort Patienten behandelt. Sie müssen aufs Revier kommen. Rufen Sie mich bitte so bald wie möglich zurück.
Dann legt sie auf.
Fiona ist in Kalifornien, sagst du.
Nein, jetzt nicht mehr, sagt die Frau. Sie wohnt in Hyde Park.
Hier gehtâs aber nicht nach Hause, sagst du.
Die Frau seufzt. Wir fahren nicht nach Hause. Wir fahren aufs Polizeirevier. Dort waren Sie schon mal.
Ihre Worte ergeben keinen Sinn. Sie ist deine Schwester, deine lange verlorene Schwester. Oder deine Mutter. Eine Verwandlungskünstlerin. Alles ist möglich.
Die Frau redet immer noch. Sie können nicht in Ihr altes Haus zurück. Sie schaut dich kurz von der Seite an. Ihr Zustand hat sich seit dem letzten Mal, als ich Sie gesehen habe, sehr verschlechtert.
In ihrer Stimme liegt so viel Mitleid, dass du plötzlich wieder festen Boden unter den FüÃen hast. Du schaust dich um. Ihr seid auf der Kennedy Avenue und in Richtung Süden unterwegs. Die Frau fährt zu schnell, aber sehr sicher. Jetzt biegt sie in eine Abfahrt ein, die in weitem Bogen nach links schwingt und dann wieder geradeaus unter einem langen Steingebäude hindurchführt, das den Highway überspannt. Links, dann rechts, ein kurzer Blick auf den See, dann wieder scharf rechts und in ein unterirdisches Parkhaus, wo die Frau mit quietschenden Reifen in einer Parkbucht hält. Plötzliche und absolute Stille. Ein modriger Geruch.
Einen Augenblick lang sitzt ihr beide schweigend in dem
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