Ich darf nicht vergessen
und ihr Gesicht ist schmerzverzerrt. Lassen Sie mich mal sehen, sagst du, und sie nimmt zögerlich die Hand weg. Du hebst das blaue Krankenhaushemd an, und zum Vorschein kommt ein heftiger Hautausschlag mit roten Pusteln und Blasen, der sich quer über den Bauch bis über den Rücken hinzieht.
Tut es weh?, fragst du.
Ja. Anfangs hat es eher gejuckt. Aber jetzt tut es weh. Sehr sogar.
Du schaust genauer hin. Einige der Pusteln sind mit Eiter gefüllt, andere noch frisch. Du bedeutest der Frau, sie solle sich umdrehen. Auf der anderen Seite ist nichts zu sehen, nur der breite Streifen auf ihrer rechten Seite, der sich über die Hüfte, den Oberschenkel und die Pobacke ausbreitet.
Was ist es?
Herpes Zoster. Allgemein bekannt unter der Bezeichnung Gürtelrose, sagst du. Ich werde Ihnen ein antivirales Präparat verschreiben. Aciclovir. Das sollte die Ausbreitung des Ausschlags aufhalten und die Schmerzen lindern. Ich hoffe, die Behandlung kommt noch rechtzeitig. AuÃerdem sollten Sie die Stellen dreimal täglich mit kalten Umschlägen kühlen. Vor allem dürfen Sie sich nicht kratzen, sonst kann sich das entzünden.
Wie habe ich mir das denn eingefangen? Sie haben was von Herpes erwähnt. Kann es sein, dass ich mich bei meinem Freund angesteckt habe?
Nein, nein. Gürtelrose wird von demselben Virus verursacht, der für Windpocken verantwortlich ist.
Du suchst nach deinem Rezeptblock. Er ist nicht in deiner Tasche. Du entschuldigst dich und gehst auf den Korridor hinaus.
Verzeihung?
Ja?
Ich habe meinen Rezeptblock verlegt. Können Sie mir einen besorgen? Du drehst dich um und stöÃt beinahe mit einer Frau zusammen, die ebenfalls einen weiÃen Kittel trägt. Sie hat kein Namensschild. Sie wirkt verdattert. Neugierig betrachtet sie dein Gesicht. Sind Sie Dr. White?, fragt sie.
Du nickst.
Ich habe mal ein Foto von Ihnen gesehen. Ich wusste gar nicht, dass Sie noch hier arbeiten. Ich dachte, Sie wären in Rente gegangen. Dr. Tsien spricht oft davon, wie sehr man Sie im Krankenhaus vermisst. Sie runzelt die Stirn, öffnet den Mund, schlieÃt ihn wieder.
Du kannst alldem nicht folgen. Du erklärst der Frau, dass du jeden Mittwoch hier arbeitest.
Aber heute ist Donnerstag.
Du überlegst. Wahrscheinlich war ich diese Woche Mittwoch verhindert, sagst du.
Wir alle hier sind Ihnen sehr dankbar für Ihr Engagement. Dass eine Ãrztin Ihres Kalibers hier ehrenamtlich tätig ist, bedeutet uns sehr viel. Ganz zu schweigen von Ihren groÃzügigen Spenden. Sie wirkt immer noch leicht perplex, als versuchte sie, sich an etwas zu erinnern.
Du wendest dich zum Gehen. Plötzlich stehst du vor einer verwirrenden Anzahl von Türen. In welchem Zimmer warst du gerade? Du entscheidest dich für die nächstbeste Tür und betrittst das Zimmer. Ein älterer, nur mit seiner Unterhose bekleideter Mann sitzt da. Er scheint sich zu wundern. Stimmt etwas nicht?, fragt er. Sagen Sieâs mir, antwortest du. Was führt Sie hierher?
Der Mann wirkt verlegen. Ich habe Probleme mit dem Wasserlassen, wie ich Ihrem Kollegen eben schon erklärt habe.
Ist es schmerzhaft? Oder verspüren Sie Harndrang, können aber kein Wasser lassen?
Letzteres. Glaube ich. Ich versuche zu pinkeln, und nichts kommt. Das tut weh.
Erektile Dysfunktion?
Wie bitte?
Haben Sie Erektionsprobleme?
Nein, natürlich nicht. Der Mann sieht dich nicht an, als er das sagt.
Lügner, denkst du.
Seit wann haben Sie diese Dysurie?, fragst du.
Seit wann habe ich was?
Diesen Harndrang, ohne Wasser lassen zu können.
Seit ungefähr einem Monat. Es wird mal besser, dann wird es wieder schlimmer.
Blut im Urin?
Er zögert kurz, dann sagt er bestimmt: Nein.
Schmerzen oder Steifheit im unteren Rücken, in den Hüften oder Oberschenkeln?
Vielleicht.
Ich tippe auf Prostatitis, sagst du. Dann, als du seine Reaktion siehst, fügst du hinzu: Entspannen Sie sich, es ist kein Krebs, und es führt auch nicht zu Krebs.
Ist es heilbar?, fragt er.
Manchmal ja, manchmal nein. Aber wir können mit ziemlicher Sicherheit die Symptome abschwächen, erklärst du ihm. Als Erstes werden wir eine Urinprobe nehmen, um eine bakterielle Prostatitis auszuschlieÃen.
Es klopft an der Tür. Eine Frau steckt den Kopf herein. Dr. White?, sagt sie. DrauÃen steht ein Taxifahrer, der behauptet, Sie schuldeten ihm Geld. Er hat das Taxameter laufen lassen, und der Betrag beläuft sich
Weitere Kostenlose Bücher