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Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen

Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen

Titel: Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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nichts davon ab, sie nun auch noch zu vergewaltigen und auszurauben. Eine halbe Stundelang dauerte Kittys Martyrium. Dann erlag sie den Folgen des brutalen Angriffs.
    Wie sich später herausstellte, war ihr Mörder ein geisteskranker Serientäter. Er konnte gefasst werden und wurde zum Tode verurteilt. Als die Behörden den Fall jedoch weiter untersuchten, offenbarte sich das ganze Ausmaß des Verbrechens, über das die ›New York Times‹ am 27.   März 1964 schrieb: »Mehr als eine halbe Stunde lang schauten 38 achtbare, gesetzestreue Bürger in Queens zu, wie ein Mörder eine Frau in Kew Gardens belästigte und auf sie einstach.«
    Die Menschen verhielten sich wie die drei Affen Mizaru, Kikazaru und Iwazaru: nichts hören, nichts sehen, nichts tun   – keiner eilte Kitty Genovese zu Hilfe, niemand alarmierte die Polizei. Manch einer der Passanten gab später gar zu Protokoll, er habe gedacht, es handele sich lediglich um einen Beziehungsstreit.
    Immer wieder ereignen sich solch verstörende Verbrechen   – und damit meinen wir nicht den Mord, sondern vielmehr die Unbarmherzigkeit und Tatenlosigkeit von Passanten. 1983 etwa wurde in Bedford, Massachusetts, eine Frau in einer Bar von mehreren jungen Männern stundenlang vergewaltigt, ohne dass einer der anderen Besucher eingeschritten wäre. Der skandalöse Fall schlug solche Wellen, dass er 1988 mit Jodie Foster in der Hauptrolle unter dem Titel ›Angeklagt‹ verfilmt wurde. Und erst im Oktober 2009 sahen ganze 20   Zeugen zu, wie ein 1 5-jähriges Mädchen in Richmond, Kalifornien, auf offener Straße überfallen und sexuell missbraucht wurde. Statt dem Mädchen zu helfen oder die Polizei zu rufen, lachten einige der Passanten noch dazu oder machten Fotos mit ihren Handykameras. Nicht minder präsent sind uns die Bilder von Dominik Brunner. Jenem Helden, der 2009 an einer Münchner S-Bahn -Haltestelle drangsalierten Kindern beherzt zu Hilfe eilte und dafür selbst mit dem Leben bezahlte. Auch hier zeigten die Mitanwesenden weder Zivilcourage, noch leisteten sie Brunner oder den Kindern Beistand.
    Die unerklärliche Untätigkeit der Umstehenden wurde inzwischen mehrfach psychologisch untersucht und gab dem Phänomenden Namen, der bis heute einen schier unglaublichen sozialen Defekt von uns Menschen beschreibt   – den Bystander-Effekt, auch Zuschauer-Effekt oder Genovese-Syndrom genannt. Kurz gesagt bedeutet er: Bei jedem Notfall nimmt die Wahrscheinlichkeit, dass einem geholfen wird, mit steigender Anzahl der Umstehenden ab.
    Eingehend untersucht haben das zum Beispiel die Sozialpsychologen Bibb Latané und John Darley und daraus einen Fünf-Stufen-Prozess abgeleitet, den jeder Passant durchmacht, bevor er einem Unfallopfer hilft. Der Haken: Auf jeder dieser Stufen bilden andere Menschen ein zunehmendes Hindernis. So muss jemand, bevor er hilft, den Notfall als solchen überhaupt erst einmal erkennen. Je mehr Menschen aber anwesend sind, desto weniger bedrohlich wirkt die Situation. Wie Psychologen um David McMillen 1977 nachwiesen, kann selbst die eigene Laune enorm beeinflussen, ob man die Situation als bedrohlich und einschreitenswert beurteilt oder nicht. Konkret: Gut Gelaunte helfen eher als Miesepeter.
    Auch das Verhalten der Umstehenden beeinträchtigt unser Verantwortungsempfinden enorm. Je mehr Passanten das Geschehen »übersehen«, desto eher kommt es zur sogenannten Gruppenignoranz. Nicht selten warten alle nur darauf, dass ein anderer (!) eingreift und den ersten Schritt wagt. Womöglich glaubt der Einzelne auch, die anderen seien zur Hilfe besser geeignet   – etwa, weil sie kräftiger oder kompetenter sind.
Verantwortungsdiffusion
heißt wiederum dieses Phänomen im Fachjargon. Was es aber auch nicht besser macht.
    Was sich gegen so viel soziale Ignoranz tun lässt? Wenig. Die Polizei empfiehlt Opfern, ihren Hilferuf nicht an die Allgemeinheit zu richten, sondern ganz gezielt eine Person herauszupicken und an diese zu appellieren: »Sie da! Helfen Sie mir!« So wird die Verantwortungsdiffusion aufgebrochen. Ein anderer Weg ist, Bücher und insbesondere Geschichten wie diese zu lesen. Versuchspersonen, die zum Beispiel von Latanés und Darleys Forschungen wussten, halfen in Notfällen fast doppelt so oft wie andere.

DER PELTZMAN-EFFEKT
    Warum immer wieder Unfälle passieren
    Etwa 2,4   Millionen Unfälle im Straßenverkehr registrierte die Polizei 2010 in Deutschland, knapp vier Prozent mehr als im Vorjahr. 1997 waren es 2,2  

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