Ich - der Augenzeuge
mich von ihnen möglichst fernhielt, weil ich mir zu gut war für sie.
Aber diese Angabe meines Vaters muß auf Wahrheit beruht haben. Die Frau des Direktors hatte davon erfahren, und es war die natürliche Eifersucht eines ›unreinen Gefäßes‹, die nach Rache suchte und die sicherste Methode bald herausbekam, ihre verletzte Frauenwürde an der Nebenbuhlerin zu rächen.
Dazu kam noch etwas anderes. Man hatte meinen Vater in Freiheit gelassen. Offenbar wog seine Schuld weniger schwer als die seines Vorgesetzten. Daran war nun mein Vater unschuldig. Später ist, ebenfalls durch die Direktorin, der Verdacht ausgesprochen worden, mein Vater hätte, um sich reinzuwaschen, seinen Vorgesetzten über das erlaubte Maß hinaus angeschwärzt. Der Ausgang des Prozesses schien dafür zu sprechen. Trotzdem ist es mir immer schwergefallen, dies zu glauben.
Die Tatsachen folgten nun einander mit großer Schnelligkeit. Zuerst gab meine Mutter, ohne mir den Grund zu sagen, den Plan auf, mit mir zum Onkel zu reisen und meinen Vater sich selbst zu überlassen. Dann merkte ich eines Tages, etwa eine Woche vor der Verhandlung, daß sich etwas Unerwartetes zugetragen hatte, und schließlich kam meine Mutter eines Abends mit verzerrtem Gesicht, aber vorerst ohne ein Wort für mich oder für meinen in eine dunkle Ecke sich drückenden, fahlen und abgemagerten Vater, zu Tisch und stellte die zwei unseligen Kerzenleuchter dröhnend vor uns hin. Freilich, ohne Kerzen hineinzustecken, denn es war noch hell genug.
Es kam nun heraus (meine Mutter konnte dies nicht verschweigen), daß die Direktorin meine Mutter ›zu einem gemütlichen Plauderstündchen‹ zu sich eingeladen hatte. Sie hatte ihr erzählt, nicht mein Vater, sondern ihr Mann hätte ihre schöne Magd Vroni um ihre Unschuld gebracht. Er sei sie aber dann schnell müde geworden, habe sie meinem Vater abgetreten. Vroni hätte meinem Vater nur ungern nachgegeben, habe sich aber durch große Geschenke und durch das Versprechen, er werde eine zweistöckige Villa auf dem Herzogshügel für sie bauen, umstimmen lassen. Sie hätte ihm die zwei Kinder geboren, er hätte, in seinem Vaterglück wie von Sinnen, versprochen, sie zu heiraten, hätte ihr lachend gesagt, sie, meine Mutter, käme nun schon nimmer heim, sie pfeife aus dem letzten Loch. Ich hätte mich auch hineingedrängt, hätte die Vroni bestürmt und sie für mich durch das Geschenk der kostbaren Leuchter gewinnen wollen, ohne an die Blutschande zu denken, genau wie ein Jude. Die beiden Frauen wären in aller Ruhe Arm in Arm zu Vroni in die Wohnung gegangen, hätten ihr ›gewiesen‹, sie müsse die Wohnung zum nächsten Ersten mit ihren liederlichen Bamsen räumen, und es sei am besten, sie verließe die Stadt, gäbe die ›Bankerte‹ in Kost, träte wieder in Dienst und richtete sich auf ehrliche Arbeit ein. Die zwei Leuchter hätten sie mitgenommen, und das Schandweib, das ›Gschpusi‹, hätte ihnen beiden noch unter Tränen die Hände geküßt oder nur küssen wollen, denn sie hätten sich nie mit so etwas beschmutzt usw.
Die Leuchter standen da, ich konnte nichts entgegnen. Was Blutschande war, wußte ich nicht. Etwas von dem ›unreinen Gefäß‹ sicherlich.
Der Bau der Villa auf der Anhöhe wurde unterbrochen, das Gelände zum Verkauf ausgeschrieben. Der Grund und Boden ist im Laufe der Zeit ohne großen Verlust, vielleicht sogar mit kleinem Gewinn, verkauft worden. Ich habe es erst zu spät erfahren. Aber hätte ich es auch rechtzeitig erfahren, es hätte an meinem Entschluß und an meiner Lebensführung nichts geändert. Auch die Wohnungseinrichtung Vronis, auf die sie keinen gesetzlichen Anspruch hatte, wurde ›vergantet‹, das heißt, an den Meistbietenden verkauft, wobei nur wenig einkam, da die schönen, von meinem Vater gezeichneten Möbel als ›übermodern und verrückt‹ angesehen wurden. Auch unsere eigene Wohnungseinrichtung ging denselben Weg, etwas später freilich. Sie trug bedeutend mehr ein, weil sie im alten Stil war. Das alles sind Nebensachen. Hauptsache war, mein Vater wurde mangels an Beweisen strafrechtlich freigesprochen, aber zivilrechtlich für haftbar erklärt. (Ich selbst habe dies als Widerspruch empfunden, entweder war er doch schuldig oder nicht.)
Meine Mutter nahm mich eines Tages nach dem Freispruch noch einmal ins Gebet. Sie schwankte noch. Sie sagte: »Wie hast du ihnen das Licht halten können? Wie hast du das auf beiden Achseln tragen können? Liebst du mich denn
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