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Ich - der Augenzeuge

Ich - der Augenzeuge

Titel: Ich - der Augenzeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Weiß
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reicht weit.‹
    Ich sah ein, er hatte mit seinem Plan nicht unrecht, dennoch wollte ich klüger sein als er. Wir kehrten aber noch einmal in mein Haus zurück. Er ließ mich aber nicht mehr allein. Ich rief den erwähnten Arzt in T. an, von dem ich wußte, er habe wenig zu tun und könne sofort meine Kranken übernehmen, unter denen sich kein schwerer Fall befand. Die Kassen hatte ich in letzter Zeit ohnehin an einen nationalen Arzt abgeben müssen. Er wußte von meinem Entschluß, bevor ich ihn ausgesprochen hatte, die Braunen hielten zusammen und hatten keine Geheimnisse voreinander. Er war von großer Freundlichkeit und wünschte mir Erholung, denn ich hatte von einem Erholungsurlaub gesprochen. Meine Frau stand neben dem Telefon, mein Vater auch, und sie hörte sich alles leichenblaß, aber gefaßt an. Sie sagte meinem Vater, dem diese Unterredung peinlich war, ins Gesicht, sie sei heute zu jedem Opfer bereit, wenn es mir und den Kindern nützen könnte, also auch zur Scheidung. Auf die Kinder könne sie aber nicht verzichten. Ich sagte ihr, ich würde mich von ihr niemals trennen, jetzt noch weniger als früher. Mein Vater wurde ungeduldig. Es wurde also besprochen, meine Frau sollte nur zwei oder drei Tage warten, und dies aus zwei Gründen. Sie hatte eine Mittelohrentzündung hinter sich, fieberte noch leicht und war heute noch nicht reisefertig, und zweitens mußte sie zuerst die Sicherheit haben, daß ich über die Grenze war.
    Mir war unheimlich zumute. Etwas von dem Zermalmenden, das ich schon viele Jahre nicht mehr gefühlt hatte, war über mich gekommen, aber ich sah, wie ruhig sie war, wie sehr sie in diesen schwierigen Augenblicken meiner Mutter glich, die desto gefaßter gewesen war, je schwerer das Leben wurde. Ich fügte mich ihnen beiden, meinem Vater und meiner Frau, ich würde im Hotel zum Grauen Bären in Bern absteigen, sie solle mir dorthin Nachricht geben, und ich würde in allem Vorsorge treffen, daß wir dort eine Zeitlang ruhig leben könnten, bis Ordnung, Recht und Gesetz in Deutschland wiedergekommen wären. Ich nahm meinen Vater bis nach M. mit, setzte ihn dort ab, führ weiter bis in den Vorort G., kam aber gegen Morgen noch einmal in die Stadt zurück, ging zum Postamt, holte mir die Papiere und legte sie ganz ungezwungen in eine Falte des Verdecks. An der Grenze fielen sie nicht weiter auf, ich überschritt, erleichtert und froh aufatmend, die Grenze gegen Mittag und fuhr nach Basel. Am Nachmittag ging ich in die Eidgenössische Zentralbank, wo ich mein Geld deponiert hatte. Ich mietete ein Safe in meinem Namen und in dem meiner Frau und hinterlegte dort die Papiere. Dann fuhr ich friedlich nach Bern wo ich im ›Grauen Bären‹ abstieg. Alles war so schnell vor sich gegangen, daß ich kaum richtig zu mir kam. Hier war alles ruhig, und es schien mir, als habe ich mich übereilt, meine Angst sei übertrieben gewesen, und ich hätte ruhig als ein unschuldiger und makelloser Mensch meinem Beruf weiter nachgehen und in meiner Heimat bleiben können.
    Ich erwartete mitten in dieser friedlichen Umgebung der freien Stadt und der freien Schweizer Bürger in steigender Angst Nachrichten von daheim und vor allem die Depesche, die mir die Ankunft meiner Frau melden sollte und die nicht kam. Ich hatte ein Zimmer mit Doppelbett genommen und einen Strauß schöner Blumen gekauft, aber ich hatte schon trübe Vorahnungen.
    Ich war verzweifelt, bevor ich noch den Boden unter den Füßen verloren hatte, und damit habe ich mich selbst verraten. Ein Telegramm kam. Der Liftboy brachte es mir und hielt die Hand ausgestreckt um ein Trinkgeld. Ich überflog das Telegramm, und zermalmt las ich: ›deine frau steuerhinterziehung provisorisch in haft stop steuerbelege nirgends aufzufinden – stop kehre zurück, keinerlei gefahr. kinder gesund stop gruß heil h! vater.‹
    Ich sackte auf meinem Stuhl zusammen, und der Boy brachte mir Wasser. Ich überlas nochmals die Unglücksbotschaft.
    Ich merkte, daß etwas nicht stimmte. Mein Vater hätte meine Frau mit Namen genannt, und der Verdacht der Verhaftung wegen Steuerhinterziehung war so absurd, daß ich sofort auf die Idee kam, die Geheime Staatspolizei wolle mich über die Grenze locken, um die Papiere in die Hand zu bekommen. Aber sofort darauf klagte ich mich selbst an, fiel mir in den Rücken, daß ich nur einen Augenblick zögern konnte, meine geliebte Frau zu retten! Ich mußte zurück. Sofort. Blind. Ohne Überlegung. Ich durfte niemals, sagte ich mir,

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