Ich & Emma
glaubt er, das wäre der Schlüssel zum Erfolg.
“ … du kannst jetzt also gehen, aber vergiss nicht, worüber wir gesprochen haben, verstanden?”
“Ja, Sir”, sage ich über die Schulter, als ich aus dem Zimmer zu meinem Schließfach sause, damit ich nicht zu spät zur nächsten Stunde komme und mir wieder ein Lehrer Vorhaltungen macht.
“Pssst, da kommt sie”, höre ich, als ich das Zimmer betrete. Es gibt nichts Schlimmeres, als so etwas zu hören, wenn man irgendwohin kommt, wo man sowieso gar nicht sein will.
“Du solltest dich besser schnell setzen, Carrie Parker”, sagt Luanne Kibley. “Sonst schickt dich
Mama
ohne Abendessen auf dein Zimmer.” Die ganze Klasse bricht in Lachen aus, man hat nur auf mich gewartet.
“Hast du dich nett mit deinem
Daddy
unterhalten?” flötet Mary Sellers über den Lärm hinweg.
“Wer ist dein Onkel?” schreit Tommy Bucksmith. “
Mr. Streng?”
Mr. Streng ist unser Schuldirektor. Alle hassen Mr. Streng außer vielleicht Daisy, sein einäugiger Dachshund, der auf einem karierten Kissen in der Ecke seines Büros schläft.
Wo ist Miss Hall?
Der Himmel draußen ist dunkel geworden – die Wolken werden sich gleich öffnen, es wird regnen, das kann ich fühlen. Ich hoffe, nicht bevor wir zu Hause sind. Klar, ich versuche mal wieder an andere Dinge zu denken als an das, was gerade geschieht, aber ist das nicht verständlich? Wenn ich Lehrerin wäre, ich würde pünktlich zum Unterricht kommen, soviel steht fest.
“Also gut, Leute”, sagt Miss Hall, noch bevor sie die Tür geschlossen hat. “Holt bitte alle eure Sozialkundebücher heraus und schlagt Seite neunzehn auf. Ich hoffe, ihr habt es gestern alle nachgelesen …”
Ich nicht. Ich kann mich nicht einmal erinnern, dass sie uns das aufgetragen hat. Aber das ist ja nichts Neues.
3. KAPITEL
J etzt bin ich in unserem Zimmer, wo die Decke so tief hängt, als ob sie unsere Betten vor dem Himmel beschützen wollte. Unser Zimmer ist das Beste im ganzen Haus, auch wenn Richard das Gegenteil glaubt. Ich kann schon verstehen, warum er so denkt, denn es ist gerade mal Mai und heißer als in der Hölle. In dem einzigen Fenster ist ein Ventilator eingebaut, der nur noch mehr Luft aus dem Raum saugt. Als Richard damals kam, stampfte er mit den Umzugskisten durchs Haus nach oben. Wir sollten uns verziehen, sagte er, und zwar noch weiter nach oben, über diese Treppe, die man an einem Seil aus der Decke nach unten ziehen kann. Uns würde nun niemand mehr ein Nest bauen, sagte er, wir sollten uns besser gleich dran gewöhnen. Seit er unser Zimmer als Nest bezeichnet hat, nennen wir es auch so. Ich wusste nicht, was er im Schilde führte, aber ich kletterte als Erste die Treppe rauf, was ungewöhnlich ist, weil ja sonst Emma immer die Mutige ist. Als wir oben waren, schob er die Treppe wieder hoch – das tut er bis heute. Weil Sommer ist, schlägt einem die heiße Luft in unserem Nest ins Gesicht wie die stinkende Rauchwolke, die hinten aus Richards Wagen herausschießt, wenn er losfährt. Uns fällt dadurch das Atmen schwerer. Dort, wo unser Bett ist, kann man nicht aufrecht stehen. Die Flickendecke auf dem Bett, das wir miteinander teilen, erinnert mich an
Unsere kleine Farm.
An der Decke hängen eine Menge Spinnweben, und ich muss immer an Charlotte und Wilbur aus einer meiner Lieblingsgeschichten über das Schwein und die Spinne denken, die beste Freunde werden. Nachdem die Spinnweben an der höchsten Stelle der Decke sind, also nicht über dem Bett, lasse ich sie dort … zumindest solange, bis vielleicht mal eine Spinne herunterfällt. Emma gefällt es hier oben. Inzwischen hat sie begriffen, dass man auf dem Bett nicht herumspringen kann, nach einigen Kratzern und Prellungen hatte sie es kapiert. Am liebsten stellt sie den Ventilator an und spricht in seine Richtung, und um ehrlich zu sein, gefällt mir das auch. Zuerst wollte sie gar nicht erst in seine Nähe kommen, weil sie Angst hatte, dass ihr das Haar vom Kopf gerissen würde, aber jetzt bindet sie sich einen Pferdeschwanz, damit das nicht passiert. Sie sagt Sachen wie “Ich hasse dich, Richard” und “Du wirst sterben” und “Hau endlich ab” direkt in den Ventilator hinein. Sie weiß genau, dass Richard keinen Ton hören kann, weil die Flügel des Ventilators die Luft in kleine Stücke schneidet und ihre Worte hinaus aus dem Haus treibt. Vielleicht ist es ihr auch egal, ob er sie hören kann, denn manchmal, wenn er Mama mal wieder besonders
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