Ich & Emma
schlimm die Hölle heiß macht, dann schreit sie schon in den Ventilator, bevor er noch richtig an Fahrt gewonnen hat. Ich würde das jedenfalls nicht wagen.
Ich kann Richard im Flur hören, und ich weiß, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bevor er die Treppe nach oben stößt und uns hier einschließt. Mama findet das furchtbar, aber mir macht es nichts mehr aus. Wenn er die Stufen nach oben schiebt, dann kann er Emma und mich wenigstens nicht nerven. Das macht er sonst ständig, aber nachdem es bei ihm ja jetzt vorangeht, hat er wohl Besseres zu tun, als zu nerven.
Oje. Mama ruft uns. Und hier ist das Problem – wenn wir antworten und sie wissen lassen, dass wir hier oben sind, dann sieht sie, dass die Treppe ebenfalls oben ist. Und wenn sie das sieht, weiß sie, dass Richard wieder böse zu uns war. Wenn sie merkt, dass Richard böse zu uns war, wird sie auf ihn losgehen, und dann wird er auf sie losgehen, und das wird nicht so enden wie bei
Unsere kleine Farm
, das steht fest.
“Am besten antworten wir nicht”, sagt Emma, und ich finde, das ist eine prima Idee.
“Aber dann sitzen wir hier den ganzen Tag fest”, sage ich. Emma hebt nur die Schultern und lässt sie wieder fallen, und somit ist es beschlossene Sache, ob es mir nun passt oder nicht.
Auf Zehenspitzen gehe ich zu dem Stapel Bücher neben dem Ventilator, den wir nicht anstellen können, weil das Geräusch Mama auf uns aufmerksam machen würde. Ich blättere das ramponierte alte Album mit den Briefmarken aus der ganzen Welt durch. Jemand, der vor uns hier gewohnt hat, hat es wohl vergessen, aber ich glaube nicht, dass er es vermisst, denn er ist gestorben, und das ist der Grund, warum wir jetzt hier wohnen. Jedenfalls schaue ich mir gerne die verschiedenen Briefmarken an und stelle mir vor, an einem dieser wunderschönen Orte zu leben. Obwohl ich alt genug bin, um es besser zu wissen, denke ich immer, die Länder hätten die Farben ihrer Briefmarken. Es ist seltsam, im Geografieunterricht zu hören, dass Finnland so ein dunkles Land ist, dabei sieht die Briefmarke so bunt und heiter aus.
Oje. Mama ist jetzt unter der ausziehbaren Treppe. Ich höre sie rufen. Ich schaue zu Emma rüber, aber die ist beim Lesen eingeschlafen. Richard muss letzte Nacht hinter ihr her gewesen sein. Wenn sie tagsüber so schläft, dann weiß ich, was am Abend davor passiert ist.
Da höre ich dieses Quietschen, das die Treppe macht, wenn sie heruntergezogen wird, und ich weiß, für Mama wird dieser Tag nicht gut enden.
“Caroline? Bist du da oben mit Emma?”
Ich eile zur obersten Stufe, damit sie Emma nicht aufweckt.
“Emma schläft. Brauchst du etwas?” frage ich sehr freundlich, damit sie vergisst, dass Richard uns wieder mal eingesperrt hat. Vielleicht geht sie ihm dann aus dem Weg.
So wie sie die Treppe betrachtet und wie sie seufzt, hat sie heute wohl nicht die Kraft, unseretwegen einen Streit anzuzetteln, und darüber bin ich froh. Nun, jedenfalls so was Ähnliches.
“Ich brauche dich in der Küche”, sagt sie. “Ich muss mal eben kurz weg, und du musst das Abendessen vorbereiten.”
“Wohin gehst du?” frage ich. “Kann ich mitkommen?”
“Es geht dich nichts an, wohin ich gehe, und nein, du kannst nicht mit”, antwortet sie in einem Atemzug. “Jetzt beweg dich und komm runter.”
Normalerweise, wenn Mama mich und Emma gleichzeitig anspricht, dann bedeutet das, dass sie in guter Stimmung ist, aber heute scheint das nicht zu stimmen. Meistens ruft sie nur nach mir, weil sie mich einfach mehr mag als Emma. Das wissen wir beide, und Mama weiß es auch. Sie hat es sogar schon laut ausgesprochen. “Es ist mir egal, was Emma will oder nicht, ich will nur, dass du mitkommst”, sagt sie, wenn wir mal irgendwo hingehen, wo es schön ist. Oder sie bittet mich um einen Gefallen, nicht Emma. Das tut Emma wirklich weh, obwohl sie es nicht zugibt, denn wenn ich Mama einen Gefallen tue, ist sie danach auch richtig lieb zu mir. Emma hätte auch gerne, dass Mama ihr mal dankbar ist, aber ich glaube, das wird so schnell nicht passieren. Es ist ungerecht, aber man kann nichts dagegen machen.
Ich denke, Mama mag Emma nicht, weil sie Daddy so ähnlich sieht, und Mama sagt, manche Dinge sollte man am besten vergessen.
So wie das erste Mal, als Richard aus seinem Zimmer nach mir gerufen hat. Man kann aus einer wütenden Stimme keine hübsche machen, aber genau das hat Richard in diesem Moment versucht. Wieso ruft er mich, als ob ich ein kleines
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