Ich & Emma
Kacheln wider und vermischt sich mit dem Gelächter, das so plötzlich losbricht wie ein Feuerwerk am Vierten Juli.
Alles geschieht so schnell, ich stürme aus der Tür und sehe Sonny, der lächelnd auf mich zuschlendert, als gäbe es in seinem Leben überhaupt keine Sorgen.
Die Mädchentoilette ist gleich nebenan, aber ich will so schnell und weit wie möglich weg von diesem Ort. Also renne ich. Ich renne den Flur hinunter, an Emma vorbei, die mich verblüfft ansieht, an Mr. Stanley, an einer Million lachender Kinder vorbei, die ich nie mehr in meinem Leben sehen will, und raus durch die doppelte Eingangstür, die in die Freiheit führt. Wenn sie wollen, können sie mich verhaften, Hauptsache, ich muss diese Schule nie wieder betreten. Ich höre, wie die Tür krachend hinter mir zufällt, und schon ist Emma neben mir auf dem Baseballplatz.
“Was ist passiert?” fragt sie.
“Forsyth”, schluchze ich. “Forsyth …” Mehr kann ich nicht sagen. Ich weine zu heftig. Jetzt habe ich
mich
zum Gespött der ganzen Schule gemacht.
“Wie Forsyth? Was ist geschehen?”
Dann fällt es mir ein … guter Gott! Wie Forsyths Lippen sich bewegt haben. Ihre Arme haben gewedelt wie Scheibenwischer. Sie hat versucht, mich zu warnen. Sie hat versucht,
mich zu warnen.
Ich wünschte, ich könnte mich in Luft auflösen.
“Das wird schon”, sagt Emma. “Weine nicht. Das wird schon. Warte ab. Das kommt alles in Ordnung.” Ihre Hand malt Kreise auf meinen Rücken.
“Wie denn?” schniefe ich. “Wie kann
jetzt
noch alles in Ordnung kommen?”
Sie schweigt, ich weiß, dass sie mich nur trösten will.
“Wenn sich jemand über dich lustig macht, verhau ich ihn, fertig.”
“Du kannst nicht die ganze Schule verhauen. Die werden sich alle über mich lustig machen.” Ich wische mir die laufende Nase am Ärmel ab.
“Uns fällt schon was ein”, sagt sie. “Aber wir sollten jetzt besser zurückgehen. Mr. Streng macht Ärger, wenn wir schwänzen. Komm schon.”
Die Flure sind leer – alle sitzen bereits in der dritten Stunde, wie ich vermute. Nachdem meine Augen sich an das dämmrige Licht gewöhnt haben, eile ich zu meinem Schließfach, Emma tappt neben mir her. Selbst in Fluren mit Echo macht sie überhaupt keinen Lärm.
“Wenn die dritte Stunde rum ist, machst du Folgendes.” Sie überholt mich, um mich ansehen zu können. “Du tust so, als ob du taub wärst, und wenn jemand was sagt – oder sogar über dich lacht – ist dir das piepegal. Tu einfach so, als ob du es nicht hören würdest.”
Was sie nicht weiß ist, dass ich das schon mein Leben lang versuche. Es funktioniert nie.
“Caroline, gestern hast du den Stoff vorwärts und rückwärts gekonnt.” Mr. Stanleys Mund ist ganz verkniffen, als hätte er eigentlich keine Lust, mit mir zu sprechen. “Ich frage mich, wie du auf einen Schlag das Multiplizieren verlernen kannst.”
Soll ich ihm antworten?
“Junge Dame? Junge Dame, ich spreche mit dir!”
“Bitte, Sir?”
“Wenn du vergessen hast, deine Hausaufgaben zu machen, dann sag es einfach. Spiel mir hier kein Theater vor, ich weiß genau, was du im Sinn hast. Wir sehen uns nach dem Unterricht.”
Wann um Himmels willen haben wir multiplizieren gelernt? Ich schwöre, dass ich keine Ahnung habe, wie ein
x
zwischen zwei Zahlen deren Wert verändert. Mr. Stanley schaut die ganze Zeit zu mir, als ob ich jeden Moment abhauen könnte, und ich schätze, das könnte ich auch, aber wohin sollte ich gehen? Nach Hause zu Richard? Genau das ist es, was Mr. Stanley nicht versteht: Ich gehe gern zur Schule. Mary Sellers, Tommy Bucksmith, Luanne Kibley und all die anderen können meinetwegen vor den Lehrern so tun, als ob sie gern in die Schule gingen, aber im Pausenraum höre ich doch, wie sie schimpfen. Ich hingegen mag hier alles – natürlich von den anderen Kindern abgesehen. Ich mag es, den ganzen Tag nicht zu Hause zu sein. Das ist jeden Tag wie ein Ausflug.
“Caroline!”
Mr. Stanleys Stimme ist jetzt lauter, als ich sie je zuvor gehört habe.
“Ja, Sir?”
“Es hat vor fünf Minuten geklingelt. Musst du nicht irgendwo hingehen?”
“Doch, Sir.” Ehrlich, ich habe die Klingel nicht gehört. Ich bin die Einzige, die noch im Klassenzimmer ist. Gerade als ich durch die Tür gehen will, sagt er mit heiserer Stimme: “Vergiss nicht, nach Schulschluss!”
“Ja, Sir.”
Emma wird auf mich warten müssen. Aber ich wette, Mama wird es nicht mal auffallen, wenn wir nicht pünktlich zu Hause sind.
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