Ich & Emma
zurückgehen?
Mir tut der Hintern weh, außerdem riecht es hier unten schlecht. Davon abgesehen, dass ich am Verhungern bin. Emma kann es ohne Essen aushalten, aber ich nicht. Ich muss etwas essen. Ich vermisse Mama wirklich. Ich kann verstehen, dass Emma sie nicht so sehr vermisst wie ich, weil Mama nicht so nett zu ihr ist, aber ich jedenfalls vermisse sie bereits.
Es ist Tag geworden. Das ist merkwürdig, nachdem wir nicht so richtig geschlafen haben, habe ich eher das Gefühl, dass Abend sein müsste und nicht Morgen.
Emma lässt meine Schultern los, in meiner Haut entdecke ich vier halbmondförmige Abdrücke, die bezeugen, wie verängstigt meine Schwester gewesen ist. Sie betrachtet die Male auch, dann schaut sie weg, als ob sie mich doch nicht so sehr brauchen würde. Allerdings wissen wir es beide besser.
“Was machen wir jetzt?” flüstere ich. Ich habe keine Lust mehr, der Anführer zu sein.
Emma rollt mit den Schultern und späht durch die Latten hindurch, als ob dahinter die Antwort läge.
“Oje”, wispert sie, und als ich ihrem Blick folge, sehe ich es auch. Da liegt das Erdnussbutterglas, es ist umgefallen! Wir müssen es verloren haben, als wir den Hund hörten und uns versteckten.
“Wir müssen es holen”, sagt Emma. Ich starre das Glas nur an, als würde ich einen Zaubertrick kennen, um es so zurückzubekommen. “Wenn es jemand sieht, sind wir erledigt.”
Bevor ich noch irgendwas sagen oder tun kann, krabbelt Emma bereits zu dem Loch und räumt die Steine zur Seite.
“Und wenn der Hund zurückkommt?”
“Wenn du mich fragst, der kommt heute nicht mehr.” Sie steckt ihre Schultern durchs Loch und angelt nach der Erdnussbutter.
“Beeil dich”, sage ich.
“Geschafft!” Emma kriecht wieder zu mir. Leise öffnet sie den Deckel und hält mir das Glas hin, damit ich den Finger hineintauchen kann. Noch nie hat Erdnussbutter so gut geschmeckt, keine Frage.
Während ich mir die Lippen ablecke, beginnt Emma, an den Fingern abzuzählen.
“Wir sind seit sieben Stunden weg, denke ich. Es müsste sieben Uhr morgens sein, meinst du nicht?” Ich nicke, denn genau das denke ich auch.
“Ich bin am Verhungern”, sagt sie. Ich lutsche gerade den dritten Finger voll Erdnussbutter ab und kann nicht antworten, halte ihr stattdessen das Glas hin, doch sie schüttelt nur den Kopf.
“Wieso nicht?” nuschle ich durch die Erdnussbutter hindurch. Ich verstehe das nicht. Wenn Mama uns Sandwichs mit Marshmallowcreme und Erdnussbutter macht, dann nimmt Emma immer die Seite mit der Creme und ich die mit der Erdnussbutter, aber ich hätte nie gedacht, dass sie lieber
verhungern
würde, als Erdnussbutter zu essen.
Und dann macht Emma etwas, was ich in einer Million Jahre niemals für möglich gehalten hätte. Sie robbt wieder zu dem Stapel Steine, räumt ihn weg, quetscht ihre Schultern durch das Loch, zieht die Beine hinterher und verschwindet Richtung Verandatreppe. Einfach so. Ich bleibe mit dem Glas in der Hand sitzen, Erdnussbutter im Mund, und kann nicht mal atmen, so aufgeregt bin ich! Sie bewegt sich wirklich leise, ich kann aber trotzdem hören, wie sie auf Zehenspitzen die Stufen hinaufläuft. Was sie vorhat, ist absolut schockierend. Noch bevor ich selbst zum Loch krabbeln kann, um sie zu retten, ist sie auch schon wieder zurück, und ich kann nicht fassen, was sie in der Hand hat. Den Blechnapf mit Hundefutter! Sie schiebt ihn vorsichtig durch das Loch, schlüpft hinterher und stapelt die Steine wieder ordentlich auf.
“Was zum T-e-u-f-e-l machst du da?” frage ich sie diesmal sehr deutlich, weil die Erdnussbutter, nachdem ich sie nicht runtergeschluckt habe, inzwischen in meinem Mund geschmolzen ist.
“Nach was sieht es denn aus?” fragt sie zurück, genau wie vor ein paar Stunden, als sie in unserem Nest plötzlich anfing, ihre Sachen zu packen. Dann schaufelt sie mit einer Hand das Futter aus dem Napf. Sie riecht nicht mal daran, bevor sie es isst! Isst es einfach, als wäre es Eiscreme an einem heißen Augusttag. Während ich dasitze und sie beobachte, frage ich mich, wie ich mit einem Mädchen verwandt sein kann, das Hundefutter isst. In dem Moment wird eine Tür geöffnet und Flip-Flops klatschen auf den Verandaboden.
Wir erstarren.
Emma hört auf zu schlucken und ich zu atmen.
Erster Schritt –
klatsch.
Zweiter Schritt –
klatsch.
Dritter Schritt –
klatsch.
Ich glaube, ich mache mir gleich in die Hosen. Vierter Schritt –
klatsch.
Ach du lieber Gott. Fünfter Schritt
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