Ich & Emma
einem Zimmer für das
Baby
brauchen. Ich weiß, Babys sind
klein
, aber sie wachsen, und dann werden wir ganz schnell
mehr
Platz brauchen.”
Orla Mae meldet sich. “Heißt das, dass Sie nicht mehr unsere Lehrerin sind?”
“Mr. Tyler wird euer Lehrer – zieh nicht so ein Gesicht, Buddy Lee. Mr. Tyler ist ein guter Lehrer. Ich muss euch allerdings leider wirklich verlassen, Orla Mae. Und das macht mich
traurig
, weil ich euch alle gern unterrichtet habe.”
Während sie spricht, ruht ihr Blick auf mir, aber ich schaue weg. Schätze, ich werde ihr wohl nichts von Richard erzählen. Das wusste ich ja von Anfang an. Ich hatte nur mal darüber nachgedacht.
Ich wünschte, ich könnte wie Mama einfach in meinem Zimmer bleiben. Das wäre viel einfacher. Ich müsste nicht überlegen, was wir alle essen sollen, wie wir unseren Kühlschrank füllen, die Hausarbeit erledigen und das Tag für Tag. Ja, ich wünschte, ich könnte einfach auch den ganzen Tag lang im Bett bleiben.
Schule ist ohne Miss Ueland einfach nicht mehr dasselbe. Und manchmal habe ich sogar das Gefühl, selbst meine kleine Schwester nicht mehr zu verstehen. Seit sie Schießen gelernt hat, verfolgt sie ein bestimmtes Ziel. Als ob sie mich nicht mehr brauchen würde. Jetzt geht sie immer allein zum Bach und schmiedet Pläne, wie ich vermute.
Ich hingegen gehe mit Mr. Wilson oft ins Zebulon’s, ich reagiere also genauso wie Emma, nur auf eine andere Weise.
“Komm hier rüber, Mädchen”, ruft mir Walles von dem Fass, auf dem er sitzt, zu. “Ich zeig’ dir mal einen Akkord, den du bestimmt gut hinbekommst. Hier, nimm den Gitarrenhals in die linke Hand – du bist doch Rechtshänderin, oder? Gut. Jetzt leg den ersten Finger auf die oberste Saite, und mit der linken Hand zupfst du mit dem Zeigefinger und dem Daumen. Genau so! Ich fass’ es nicht! Hörst du das? Klingt gut. Sonny, gib mir ein G, ja? Das legen wir unter die Melodie, die du gerade spielst, Culver.”
“Ich heiße Parker”, muss ich ihn korrigieren. Obwohl ich viel lieber Culver wie mein Daddy heißen würde.
“Ich dachte, du bist eine Culver.”
“War ich, aber Mama hat nach Daddys Tod wieder geheiratet, sein Name ist Parker und meiner jetzt eben auch.”
“Parker wie dieser Typ, der im Holzlager gearbeitet hat? Dieser Parker?”
“Ja, Sir.”
Walles sieht Sonny Zebulon an, der wie immer über seine Gitarre gebeugt sitzt, sich jetzt aber aufrichtet. Sie wechseln schweigend einen Blick.
“Wie kommt es, dass ein kleines Mädchen wie du bei so einem Typen landet …”
“Walles”, unterbricht ihn Mr. Wilson mit messerscharfer Stimme. Walles bricht sofort ab. “Lass es gut sein. Ich hab’ genug von dieser Schlammschlacht.”
Die Musik rieselt über mich wie Wasser über die Steine im Diamantenfluss.
Hallo Carrie. Willst du nach der Schule zu mir nach Hause kommen?
Kreuze unten an, ob du kannst oder nicht.
Orla Mae.
Ich will ihr zulächeln, aber sie schaut angestrengt nach vorne, damit niemand etwas von ihrem Briefchen bemerkt.
Ich kreuze ja an, falte den Zettel wieder ganz klein zusammen und lasse meinen Bleistift auf den Boden fallen, damit ich ihr das Papier zuschieben kann.
Mr. Tyler schreibt gerade etwas an die Tafel, bemerkt also nicht, wie sie sich herunterbeugt und ihn aufhebt.
Nach dem Unterricht treffen wir uns, damit wir zusammen gehen können.
“Warte noch ’ne Sekunde”, bitte ich sie auf dem Schulhof. “Ich muss meiner Schwester sagen, dass sie allein nach Hause gehen soll.”
Ich renne los. “Du, Em”, sage ich atemlos. “Geh du schon mal nach Hause. Ich komme später.”
Emma schaut an mir vorbei zu Orla Mae, die an ihren Nägeln knabbert, als handle es sich um ihr Mittagessen.
“Gehst du zu Orla Mae?” fragt Emma, als ob das verboten wäre.
“Kann dir doch egal sein. Geh einfach allein nach Hause. Ich bleibe nicht lange.” Sie will natürlich, dass ich sie mitnehme, aber in letzter Zeit habe ich mich daran gewöhnt, allein unterwegs zu sein.
Schulterzuckend wendet sie sich ab, und das versetzt mir dann doch einen Stich. “Willst du mitkommen?” brülle ich ihr hinterher, obwohl ich die Antwort schon kenne.
Die Antwort ist gar keine Antwort. Nur eine kleine Schwester, die einfach wegläuft.
Das Haus von Orla Mae ist nicht viel größer als unseres, aber hier gibt es nicht so viele Bäume, und deshalb dringt mehr Licht hinein.
Wir werfen unsere Bücher auf den Tisch.
“Hallo Mama”, ruft Orla Mae.
“Hallo Liebling”,
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