Ich & Emma
vor.”
Ich hoffe, sie schluckt das.
Sie blickt auf ihre auf dem Tisch gefalteten Hände. Ihr Ehering blitzt in dem Deckenlicht auf.
“Ich überlege es mir noch mal”, sagt sie nach kurzem Zögern. “Aber vergiss nicht, dass du immer mit mir reden kannst, Caroline? Ja?”
“Ja, Ma’am.”
“Du hast mich verstanden?”
“Ja, Ma’am.”
“Dann kannst du jetzt gehen.”
“Danke, Ma’am.”
Und ich bin froh, dass ich jetzt gehen kann. Denn ganz kurz, so kurz wie ein Niesen, wollte ich ihr von Richard erzählen.
“Wie ich gehört habe, gibt’s bei euch einige Probleme.” Mr. Wilson blickt von seiner Schnitzerei auf.
Mama würde auf so etwas antworten, dass er sich um seinen eigenen Kram kümmern soll. Aber schließlich ist es Mr. Wilson. Mr. Wilson interessiert sich normalerweise kein bisschen für den Kram anderer Leute, sondern nur für seinen eigenen.
Vorsichtshalber sage ich gar nichts. Ich warte erst mal ab.
“Nun, wie ich weiß, gibt es einige Leutchen hier, die froh wären, wenn ihr wieder verschwindet.” Er blickt auf das Holzstück, damit er sich nicht in den Finger schneidet. “Vor allem Antone. Und die Leute von der Holzfabrik. Tja, die alle hoffen, dass ihr wieder geht und allen Ärger mit euch nehmt. Aber ich gehöre nicht dazu.”
“Sondern?” fragt Emma bestimmt, die gerade versucht, auf einem Baumstumpf zu balancieren. Aber es ist ein klitzekleiner Baumstumpf, von dem sie immer wieder hinunterfällt. Keine Ahnung, wie sie in einem Moment wie diesem überhaupt auf die Idee kommen kann, auf einem Baumstumpf herumzuturnen.
“Ich bin der Meinung, dass die Leute sich umeinander kümmern müssen. Und ich finde, ein Mann muss die Verantwortung für das übernehmen, was er tut.”
Er legt Holz und Messer beiseite, legt die Hände auf die Knie und betrachtet uns beide. “Was sollen wir nun tun, hm?”
Keiner von uns antwortet. Was sollten wir auch sagen?
“Ich kann es nicht leiden, wenn ein Mann sich mit Schwächeren anlegt”, sagt er. “Wenn er es an einem Kind auslässt … das kann ich nicht ausstehen, wirklich nicht.”
Wir folgen ihm zum Schuppen mit den Gewehren. “Wo will er hin?” flüstert Emma mir zu.
“Psst”, zische ich. Dann frage ich Mr. Wilson, was mit dem Schloss geschehen ist.
“Das hat den Geist aufgegeben. Hat aber immerhin zwanzig Jahre gehalten. Wusste wahrscheinlich, dass es niemanden gibt, den es aussperren muss. Hier kommt sowieso niemand mehr her.”
Wir warten draußen, während er ein Gewehr herausholt. Es ist klein, hat einen schimmernden weißen Griff und einen silbernen Lauf. Er lässt die Tür halb offen.
“Zu meiner Zeit hat ein Mann für seine Taten zahlen müssen”, murmelt er in sich hinein, während wir über die Wiese zum Zaun mit den Dosen laufen.
“Ist er immer so?” flüstert Emma mir zu. Ich schüttle mit dem Kopf und lasse Mr. Wilson nicht aus den Augen.
“Komm her, Mädchen”, befiehlt er Emma. Meinetwegen kann sie mit diesem Gewehr schießen lernen, ich bleibe bei dem Jagdgewehr, aber dieses hier ist besser für ein kleines Mädchen.
“Du musst lernen, wie du dich schützt, wenn es sonst niemand tut. Also. Halt’ das Gewehr hier fest, spürst du, wie glatt der Griff ist? Lass dich davon nicht täuschen. Dieses Gewehr hat es in sich. Damit wurden schon ’ne Menge Mistkerle erledigt, das kannst du mir glauben. Hollis Collins. Jetzt richte den Lauf auf dein Ziel. Hollis Collins hat immer nur Ärger gemacht, egal, wo er auftauchte. Und deshalb hat mein Papa ihn erschossen. Du kannst hier nicht durch das Fadenkreuz dein Ziel anvisieren, stattdessen legst du das Kinn hier auf deinen Arm, zwischen Schulter und Ellbogen. Genau so. Gut. Dreh den Kopf ein wenig, dass deine Wange fast den Lauf berührt – sehr schön. Wenn dein Arm ruhig ist, dann triffst du dein Ziel. Das ist so klar wie Kloßbrühe.”
“Hey.” Emma blickt von ihm zu mir. “Unser Daddy hat das auch immer gesagt.”
“Dein Daddy wär’ mir ewig dankbar dafür, dass ich dir das Schießen beibringe. So, jetzt konzentrier’ dich auf dein Ziel. Die Dose hier steht auf dem Zaun, aber meistens wird dein Opfer sich bewegen. Also musst du deinen Körper drehen, aber gleichzeitig den Arm ruhig halten, und sobald es stehen bleibt, kannst du schießen.”
“Jetzt?”
“Warte ’ne Sekunde. Siehst du hier den Abzug? Der ist ganz leicht abzudrücken, du musst dann mit dem Rückstoß rechnen. Probier’s mal, dann weißt du, was ich
Weitere Kostenlose Bücher