Ich & Emma
Bürste. “Könnt ihr nicht einfach noch ein wenig bleiben?”
“Ich habe zwar nicht viel”, erklärt Oma uns beiden. “Aber ich habe meinen Stolz. Wir verschwinden, sobald die Koffer gepackt sind. Lillibit, wo ist der Slip, den ich dir geborgt habe? Schön, du kannst ihn in deine Tasche packen, Hauptsache, du vergisst ihn nicht.”
“Und was ist mit uns?” frage ich.
“Das wird schon.” Oma streichelt mir den Kopf. “Geh ihm einfach aus dem Weg.”
Oma presst die Lippen zusammen und wirft einen prüfenden Blick ins Zimmer. “Okay, Lillibit. Wir machen uns auf den Weg.”
“Bin gleich fertig.” Tante Lillibit geht ins Badezimmer. Sie versucht es mehrmals, doch die Tür lässt sich einfach nicht richtig schließen. Das war von Anfang an so, was Tante Lillibit aber nicht davon abgehalten hat, es jedes Mal wieder zu probieren. Als ob wir nichts Besseres zu tun hätten, als ihr zu folgen, wenn sie auf die Toilette geht. Ich höre sie seufzen.
“Hilf mir mal.” Wir tragen den Koffer gemeinsam zur Haustür, wo wir uns seitwärts drehen, um durch die Tür zu passen. Als wir den Koffer abstellen und sie zurückgehen will, um ihre Handtasche zu holen, beginne ich zu weinen. “Bitte, Oma. Bitte geh nicht …”
Aber, wie Daddy ja immer gesagt hat, Oma kann nicht gut mit Tränen umgehen.
Tante Lillibit kommt mit ihrer Tasche aus dem Haus, aus der ein Ärmel der weißen Bluse heraushängt, die ich gerade von der Leine genommen habe. Wahrscheinlich wollen nur die Gespenster bei uns bleiben.
Jetzt sitzen sie im Auto, Tante Lillibit lässt den Motor warmlaufen.
“Sei brav”, sagt sie durch das geöffnete Fenster. “Hörst du? Sei brav, Caroline.”
“Komm her und gib deiner Oma einen Abschiedskuss.” Oma winkt mich zu sich. “Komm schon”, ruft sie dann Emma zu.
Als ich bei ihr bin, berührt sie meine Wange. “Hör auf zu weinen, ja? Weinen hilft nicht. Niemals.”
Ich spüre Emma neben mir. Sie streckt ihren kleinen Arm durchs Autofenster. “Oma”, weint sie. “Bitte …” Sie heult so laut, dass sie erst nach Luft schnappen muss, um weitersprechen zu können. “Nimm uns mit …”
“Fahr los, Lillibit”, sagt sie bloß.
“Nehmt uns mit”, schluchzt Emma. Das ist ziemlich merkwürdig, denn normalerweise weint sie nur, wenn sie das Gefühl hat, dadurch etwas ändern zu können. Wahrscheinlich liegt es daran, dass sie einfach jünger ist als ich. Sie hat nicht begriffen, dass hier nichts mehr zu ändern ist.
11. KAPITEL
“G ut, jedermann beruhigt sich jetzt wieder.” Miss Ueland bewegt die Hand langsam auf und ab, damit wir endlich still sind.
Sie wirft einen musternden Blick auf die Klasse, der bei mir etwas länger verharrt als bei allen anderen. Ich wische mir über die Nase, weil sie mich ansieht, als ob ich einen Popel hätte.
“Heute sprechen wir über unsere
Gründungsväter"
, verkündet sie. “Wisst ihr alle, was ich meine, wenn ich
Gründungsväter
sage?”
Orla Maes Arm schießt nach oben. “Ich weiß es! Ich weiß es!”
“Ja, Orla Mae. Dann erzähl’ mal.”
“Das sind die allerersten Präsidenten.” Sie setzt sich aufrecht hin.
Gott sei dank reden und fragen dann alle durcheinander, und ich muss nicht mitmachen. Bald klingelt es, ich räume meine Bücher zusammen.”
“Caroline? Hör mal, könnte ich kurz mit dir reden, Liebes?”
“Ja, Ma’am?” Mein Arm zittert unter dem Gewicht der Bücher. Ich wünschte nur, ich hätte irgendwas im Magen, ich sehe schon Sternchen.
“Caroline, Liebes, ich mache mir Sorgen um dich.” Sie stützt sich mit beiden Händen auf den Tisch. “Wie geht es dir?”
“Mir geht es gut, Ma’am.”
Sie schaut mir tief in die Augen, und eine Sekunde lang würde ich am liebsten weinen. Ich halte die Tränen aber zurück.
“Sag mir, was los ist, Liebes.” Ihre Stimme fordert mich geradezu auf, zu weinen. “Du kannst mit mir sprechen.”
Ich schlucke. “Nichts ist los, Ma’am.”
“Am liebsten würde ich mich mal mit deinen Eltern unterhalten …”
Noch bevor sie den Satz beenden kann, unterbreche ich sie schnell. “Nein! Ich meine, nein danke, Ma’am. Ich meine, es ist alles in Ordnung. Ich bin bei uns hinterm Haus über einen Stein gestolpert und hab mir den Kopf angeschlagen, das ist alles. Meine Mama versohlt mir den Hintern, wenn Sie sie darauf ansprechen. Weil sie immer sagt, dass ich nicht herumklettern soll. Wenn Sie jetzt sagen, dass Sie sich Sorgen um mich machen, wirft sie mir das noch ewig
Weitere Kostenlose Bücher