Ich fürchte mich nicht: Roman (German Edition)
und ich selbst bin schuld daran.
Ich muss wissen, ob er tot ist.
Muss mich zwingen, ruhig zu sein. Nicht zu zittern, nicht panisch zu werden, nicht zu kotzen. Ich muss das Thema wechseln. »Wo sind meine Kleider?« Ich zupfe an dem blütenweißen Laken, das meinen Körper verhüllt.
»Sie sind aus denselben Gründen zerstört worden, aus denen wir Sie säubern mussten.« Er schiebt seine Brille zurück. »Wir haben einen Spezialanzug für Sie. Der wird Ihr Leben um einiges leichter machen, denke ich mir.«
»Einen Spezialanzug?« Ich schaue ihn verblüfft an.
»Ja. Dazu kommen wir gleich noch.« Er hält inne. Lächelt. Er hat ein Grübchen am Kinn. »Sie werden mich jetzt aber nicht schlagen wie Kenji, oder?«
»Ich habe Kenji geschlagen?«, frage ich entsetzt.
»Nur ein bisschen.« Er zuckt die Achseln. »Jedenfalls wissen wir jetzt, dass er nicht immun ist gegen Ihre Berührung.«
»Ich habe ihn angefasst ?« Ich setze mich ruckartig auf und vergesse dabei fast, das Laken hochzuziehen. Mir wird heiß, und ich umklammere den Stoff wie eine Rettungsleine. »Das tut mir leid –«
»Er wird die Entschuldigung sicher gerne annehmen.« Der Mann studiert so eingehend seine Notizen, als sei er von seiner eigenen Handschrift fasziniert. »Das macht aber nichts. Wir haben mit aggressiven Reaktionen gerechnet. Sie haben ja eine schlimme Woche hinter sich.«
»Sind Sie Psychologe?«
»So was in der Art.« Er streicht sich die Haare aus der Stirn.
»Was soll das heißen?«
Er lacht. Überlegt. Rollt seinen Stift zwischen den Fingern. »Ja. Im Grunde bin ich Psychologe. Von Zeit zu Zeit.«
»Und wie soll ich das jetzt verstehen?«
Er öffnet die Lippen. Schließt sie wieder. Überlegt offenbar, ob er mir antworten soll, betrachtet mich aber stattdessen prüfend. Er starrt mich so lange an, bis ich rot werde. Dann macht er sich ausgiebig Notizen.
»Wieso bin ich hier?«, frage ich.
»Zum Erholen.«
»Und wie lange schon?«
»Sie haben fast vierzehn Stunden am Stück geschlafen. Wir haben Ihnen eine ziemlich starke Beruhigungsspritze gegeben.« Er schaut auf seine Uhr. »Ihr Zustand scheint stabil zu sein.« Er zögert. »Genau genommen sehen Sie sogar sehr gut aus. Geradezu umwerfend.«
Ich scheine nur Bruchteile von Wörtern im Mund zu haben. »Wo ist Adam?«
Der Mann holt tief Luft. Unterstreicht etwas auf dem Papier. Ein Lächeln spielt um seine Lippen.
»Wo ist er?«
»Er erholt sich.«
»Geht es ihm gut?«
Der Mann nickt. »Ja.«
»Und was heißt das genau?«
Jemand klopft zweimal an die Tür.
Der Bebrillte studiert unbeirrt seine Notizen und ruft »Herein«.
Kenji betritt den Raum, etwas zögernd. Wirft mir einen vorsichtigen Blick zu.
Ich hätte nie gedacht, dass ich mich irgendwann so freuen würde, ihn zu sehen. Bin enorm erleichtert, ein vertrautes Gesicht zu sehen, doch dann krampft sich mein Magen zusammen, und ich frage mich, wie schlimm ich Kenji verletzt habe.
Er geht auf mich zu, und meine Schuldgefühle verflüchtigen sich.
Kenji sieht vollkommen unversehrt aus. Er hinkt nicht. Seine Augen sind nicht mehr geschwollen, sein Gesicht ist unverletzt. Und er hatte recht.
Es ist ein imposantes Gesicht.
Trotziges Kinn. Schön geschwungene Brauen. Die Augen so pechschwarz wie die Haare. Markant. Und ein bisschen gefährlich.
»Na, Schöne.«
»Tut mir leid, dass ich dich fast umgebracht habe«, platze ich heraus.
»Oh.« Er zuckt leicht zusammen, steckt die Hände in die Hosentaschen. »Schon gut. Schnee von gestern.« Er trägt ein löchriges T-Shirt. Dunkle Jeans. Ich habe seit Ewigkeiten keine Jeans mehr gesehen. Nur Militäruniformen, T-Shirts und die Kleider aus dem Schrank bei Warner.
Ich kann ihm nicht ins Gesicht schauen. »Ich bin vor Angst ausgeflippt«, versuche ich zu erklären und blicke dabei auf meine Hände.
»So was dachte ich mir schon.« Er zieht eine Augenbraue hoch.
»Tut mir leid.«
»Weiß ich.«
Ich nicke. »Du siehst besser aus.«
Er grinst. Streckt sich. Lehnt sich an die Wand, die Arme vor der Brust, die Knöchel überkreuzt. »Muss dir schwerfallen.«
»Was?«
»Mir ins Gesicht zu schauen und zu sehen, dass ich recht hatte. Zu merken, dass du die falsche Entscheidung getroffen hast.« Er zuckt die Achseln. »Ich versteh das schon. Ich bin nicht eingebildet, weißt du. Ich bin bereit, dir zu vergeben.«
Ich glotze ihn an und überlege, ob ich lachen oder etwas nach ihm werfen soll. »Pass bloß auf, dass ich dich nicht anfasse.«
Kenji schüttelt
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