Ich fürchte mich nicht: Roman (German Edition)
verschränke die Arme vor der Brust. »Du musst es mir ja nicht sagen, wenn du nicht willst.«
Er verdreht die Augen. Fährt sich durch die Haare. »Ich bin … sehr biegsam«, sagt er.
Ich brauche einen Moment, um das zu verarbeiten. »Also, du meinst, du kannst dich in eine Brezel verbiegen oder so?«
»Ja. Oder mich dehnen, wenn nötig.«
Ich glotze ihn dämlich an. »Kann ich das mal sehen?«
Winston beißt sich auf die Lippe. Rückt seine Brille zurecht. Schaut sich im Flur um. Und schlingt sich einen Arm um die Taille. Zweimal.
Mir bleibt der Mund offen stehen. »Wow.«
»Das ist so blöd«, murmelt er. »Und nutzlos.«
»Bist du irre?« Ich starre ihn an. »Das ist doch großartig .«
Winstons Arm ist wieder normal lang, und er geht weiter. Ich laufe ihm nach.
»Sei doch nicht so hart zu dir selbst«, sage ich. »Du musst dich dessen nicht schämen.« Aber er tut, als höre er mich nicht. Seit wann will ich andere Leute aufmuntern? Vermutlich seit ich aufgehört habe, mich selbst zu hassen. Seit ich mich für mein eigenes Leben entschieden habe.
Winston führt mich in den Raum, in dem ich ihn zum ersten Mal gesehen habe. Die weißen Wände, das schmale Bett. Aber diesmal sind Adam und Kenji auch da. Mein Herz macht einen Sprung, und ich bin plötzlich sehr nervös.
Adam sieht wunderschön und vollkommen unversehrt aus. Als er auf mich zugeht, bewegt er sich noch vorsichtig, doch sein Lächeln ist unverändert. Er ist ein wenig blasser als gewöhnlich, sieht aber kerngesund aus im Vergleich zu dem Abend, als wir hier eintrafen. Und seine Augen schimmern so dunkel wie der Himmel um Mitternacht.
»Juliette«, sagt er.
Ich muss ihn einfach bewundernd anstarren. In dem Gefühl schwelgen, dass es ihm gut geht. »Hey.« Ich bringe ein Lächeln zustande.
»Dir auch einen schönen guten Morgen«, meldet sich Kenji zu Wort.
Ich zucke zusammen. Werde so rosarot wie der Sonnenuntergang im Sommer. »Oh. Hi.« Ich hebe schlapp die Hand.
Kenji schnaubt.
»Also gut, wollen wir mal?« Winston geht zu einer Wand. Sie erweist sich als Schrank, in der ein einziges Kleidungsstück hängt. Winston nimmt es vom Bügel.
»Ähm, könnte ich vielleicht einen Moment mit ihr allein sein?«, fragt Adam.
Winston nimmt die Brille ab. Reibt sich die Augen. »Ich muss das Protokoll einhalten. Ich muss alles erklären –«
»Ich weiß – kein Problem – das kann gleich stattfinden. Ich brauche nur ganz kurz, das verspreche ich. Aber wir konnten keinen Moment alleine reden, seit wir hier sind.«
Winston runzelt die Stirn. Schaut mich an, dann Adam. Seufzt.
»Na gut. Aber dann kommen wir wieder. Ich muss sichergehen, dass alles richtig sitzt, und ich muss –«
»Super. Klingt prima. Danke, Mann –« Adam schiebt die beiden zur Tür raus.
»Warte!« Winston drückt die Tür wieder auf. »Sie soll wenigstens schon mal den Anzug anprobieren, während wir draußen sind.«
Adam starrt auf den Stoff, den Winston in der Hand hält. Der reibt sich die Stirn und murmelt etwas über Leute, die seine Zeit vergeuden. Adam verkneift sich das Grinsen. Wirft mir einen Blick zu. Ich zucke die Achseln. »Okay«, sagt er und greift nach dem Anzug. »Aber jetzt raus mit euch –« Er schiebt die beiden in den Flur.
»Wir sind direkt hier vor der Tür!«, schreit Kenji. »Keine fünf Sekunden entfernt –«
Adam schließt die Tür. Dreht sich um. Sein Blick lässt meinen Körper erglühen.
Ich weiß nicht mehr, wie ich mein Herz beruhigen soll. Versuche zu sprechen, aber es misslingt.
Adam findet als Erster seine Stimme wieder. »Ich hatte nicht mal die Chance, dir zu danken«, sagt er.
Ich schaue zu Boden, während mir die Hitze ins Gesicht steigt. Ich muss mich selbst kneifen, einfach so.
Adam tritt auf mich zu. Nimmt meine Hände. »Juliette.«
Ich schaue zu ihm auf.
» Du hast mir das Leben gerettet .«
Ich kaue an meiner Wange. Es kommt mir idiotisch vor, »gern geschehen« zu sagen, wenn man jemandem das Leben gerettet hat. Ich weiß nicht, was passender wäre. »Ich bin so froh, dass es dir gut geht« kommt schließlich dabei heraus.
Adam starrt auf meinen Mund, und mein Körper schmerzt vor Sehnsucht. Wenn er mich jetzt küsst, werde ich ihn nicht mehr loslassen. Er atmet hastig ein. Erinnert sich daran, dass er etwas in Händen hält. »Oh. Vielleicht solltest du das jetzt anziehen.« Er reicht mir das violette Stoffbündel, das sich federleicht anfühlt. Und so klein aussieht, als sei es für ein Kind
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