Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)
kämpfen.
Zwei Stunden später schreckte ich hoch. Ganz in meiner Nähe splitterte Glas. Noch benommen, nahm ich wahr, dass das Fenster meiner Terrassentür eingeschlagen wurde. Mehrere Personen – mindestens vier Männer in Turnschuhen – stürmten herein. Sie schrien herum, steckten ihre Waffen in die Luft und gebärdeten sich wie schlechte Darsteller in einem amerikanischen Thriller. Sie zerrten mich aus dem Bett, legten mir Handschellen und Fußfesseln an und schoben mich zu Andreas B. in ein Auto, das vor dem Haus stand. Dort ließen sie uns erst einmal schmoren, während sie mit großem Getöse das Haus durchsuchten.
Dies war kein Raubüberfall. Dies war ein Einsatz des Federal Bureau of Investigation, kurz FBI genannt. Die Rolle der Kriminellen in diesem Film hatten anscheinend wir.
Wir waren verhaftet. Die Handschellen drückten schmerzhaft auf meine Gelenkknöchel.
3
Mit Wladimir, meinem Zellengenossen, kam ich einigermaßen zurecht. Ich war froh, dass er so schweigsam war, denn ich hatte wenig Lust auf Smalltalk. Wir hatten nur ein kleines Problem miteinander: mein Schnarchen.
Schlafen konnte ich nämlich, sogar hier und trotz der Anspannung. Schlafen kann ich eigentlich immer und überall. Aber ich benötigte damals ein Atemgerät, das mich nachts mit Sauerstoff versorgte. Ich litt unter einer Schlafapnoe, in deren Folge gefährliche Atemaussetzer auftreten können. Ich hatte das Gerät sogar auf meine USA-Reise mitgenommen, aber es war im Gästezimmer in Andreas B.s Haus liegengeblieben.
Meine Schlafgeräusche müssen unerträglich gewesen sein. Der arme Wladimir tat wahrscheinlich kein Auge zu. Immer wieder weckte er mich, nicht wirklich sauer, aber doch ziemlich genervt. Das Ergebnis war aber nur, dass wir dann beide wach lagen, bis ich wieder einschlief – und weiterschnarchte.
An eine geregelte Nachtruhe war ohnehin nicht zu denken. Länger als zwei Stunden am Stück ließ man uns nicht in Ruhe. Mit Vorliebe nach Mitternacht, so erfuhr ich bald, wurden sogenannte counts (eine Art Zählappelle) oder shake downs (Durchsuchungen) durchgeführt, zu denen Wachleute in unsere Zellen stürmten. Oft hinterließen sie ein unbeschreibliches Chaos. Ich weiß nicht, welchen Sinn es hatte, diese Aktionen mitten in der Nacht durchzuführen. Um vier Uhr morgens wurden wir ja ohnehin schon wieder geweckt, weil es dann Frühstück gab.
In den ersten Tagen rührte ich davon nichts an. Ich aß auch sonst fast nichts. Die undefinierbaren, fettigen Speisen aus der Gefängnisküche ekelten mich genauso an wie die seltsam farbigen Getränke, die dazu serviert wurden. Am dritten Tag schenkte mir ein Mithäftling einen gebrauchten Styroporbecher. Was für ein Fortschritt! Jetzt konnte ich Wasser aus dem Wasserhahn trinken, wann immer ich wollte.
Ich empfand jede Minute, in der ich hier eingesperrt war, als Zumutung. Ich war empört. Aber noch erging es mir damit wie jemandem, der auf einer Reise zu einem seltsamen und unbequemen Zwischenhalt gezwungen ist. Es war unangenehm und ärgerlich, dass ich hier festgehalten wurde, aber zumindest auch ganz interessant. Ich würde etwas zu erzählen haben. Und sobald ich Gelegenheit hatte, einen Richter und einen Anwalt zu sprechen, würde ich dafür sorgen, dass ich hier schnellstens wieder herauskam!
Aber das würde auch am Montag nicht passieren. Am 16. Januar feiert man in den USA den Martin Luther King Day zu Ehren des ermordeten Bürgerrechtskämpfers. Gerichte und Justizbehörden bleiben geschlossen. Ich würde bis Dienstag im Knast sitzen. Und Dienstag wollte ich doch eigentlich schon in Los Angeles sein.
Ich verstand einfach nicht, wie ich in diese Lage geraten war.
Am Montagvormittag gegen neun Uhr begann in meinem Hamburger Büro eine neue Arbeitswoche. Auf dem Anrufbeantworter fand sich eine Nachricht von Mitch McRae, dem amerikanischen Anwalt für Zivilrecht, mit dem wir eigentlich für diesen Tag verabredet gewesen waren. Er teilte mit, dass ich am Samstag zusammen mit Andreas B. verhaftet worden sei. Es gebe in unserem Fall noch einen weiteren Inhaftierten, den er aber nicht kannte. Viel mehr wusste er nicht.
Die ersten Angehörigen, die von meiner Verhaftung erfuhren, waren meine Kinder. Und natürlich Jan Jütting, der Lebensgefährte meiner Tochter Anne Jo, der als junger Rechtsanwalt erst ein paar Monate zuvor in meiner Kanzlei angefangen hatte.
Meine ältere Tochter erreichte die Nachricht auf ihrer Arbeitsstelle, die jüngere war gerade dabei,
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