Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)
Hamburger Anwälte mit zusätzlichen Argumenten zu munitionieren, listete ich nochmal akribisch auf, was ich bislang in sieben verschiedenen amerikanischen Gefängnissen erlebt hatte.
Die acht Blatt Papier, die ich auf der Vorder- und Rückseite engzeilig beschrieb, musste ich mir zu diesem Zweck von meinen Mitgefangenen zusammenschnorren. Schon jetzt fiel es mir schwer, mich in Gedanken und Gefühlen nochmal auf all das einzulassen, was ich hier durchgemacht hatte. Heute bin ich froh, dass ich meine Erinnerungen damals schriftlich fixiert habe. Am Ende meines Protokolls notierte ich, wie die einzelnen Anstalten nach deutschen Maßstäben zu bewerten wären:
«Broward County Jail = 1 : 3 (d. h., ein Monat im BCJ entspricht drei Monaten in einer deutschen Haftanstalt)
Federal Detention Center Miami = 1 : 1,5
United States Penitentiary (Holdover) Atlanta = 1 : 2
Federal Correctional Institution Oakdale, Louisiana: 1 : 1
Federal Transfer Center Oklahoma= 1 : 1,5
Correctional Institution Reeves = 1 : 1,5
Criminal Justice Center Pecos = 1 : 2»
Gemessen an diesen Kriterien hatte ich meine Strafe bereits vollständig abgesessen, aber das interessierte vermutlich niemanden.
Und dann war es endlich so weit.
«Heute, am 5. 12. 07 – Annes 29. Geburtstag – habe ich erfahren, dass meine zweijährige, unglaubliche und auch unfassbare Reise zu Ende geht und dass ich am 9. 1. 2008 wieder in Hamburg sein werde.» Als könnte ich es selbst nicht glauben, schrieb ich diesen Satz viele Male in Briefen an Verwandte und Freunde. Dabei wusste ich natürlich, dass sich die Nachricht ohnehin wie ein Lauffeuer verbreitet hätte, wenn die Post zu Hause ankam.
Mein Rücktransport nach Deutschland, das wusste ich schon lange, würde über New York erfolgen. Und natürlich wusste ich inzwischen auch, welcher Aufwand betrieben werden müsste, um mich aus Pecos dorthin zu bringen. Zehn Tage vor Weihnachten ging es dann endlich los. Harry und ich wurden abgeholt. Aber wir fuhren nicht nach Oklahoma oder Atlanta, wie wir es erwartet hatten, es ging vielmehr zurück in die CI Reeves. Wieder einmal beschlich mich die Angst: War wirklich alles in Ordnung? Würde ich drei Wochen später nach Hamburg fliegen? Aber was sollte ich dann noch einmal in der CI Reeves?
Doch ich blieb diesmal nur zwei Tage in der Obhut der GEO Group Inc. Es war gerade genug Zeit, um ein Abschiedsessen mit Harry und einigen anderen Mitgefangenen zu zelebrieren. Dann wurde ich – diesmal ohne Harry – abgeholt. Per Einzeltransport wurde ich von zwei marshals nach Lubbock gebracht, eine Autofahrt von etwa drei Stunden. Dort wurde ich im County Jail für eine Nacht untergebracht, es glich dem Broward County Jail wie ein Ei dem anderen. Ich übernachtete in einer vergitterten holding cell, in der es ziemlich genauso aussah wie in einer Szene des Films «Down by Law» von Jim Jarmusch . Am nächsten Morgen wurde ich in einen Bus voller Häftlinge verfrachtet, der mich ins Federal Transfer Center Oklahoma bringen sollte, das ich ja schon von meiner Reise von Louisiana nach Texas kannte. Wir fuhren den ganzen Tag über, und so bekam ich eine ganze Menge von der Gegend zu sehen. «Texas kann man reinen Gewissens als völlig trostlos bezeichnen: flache versteppte Landschaft (ich habe manchmal sogar Sanddünen gesehen, nicht so majestätisch wie in der Sahara und auch dreckiger), heruntergekommene Häuser, vereinzelt sich langsam bewegende Ölpumpen. Hier ist wirklich nichts, und man fragt sich ernsthaft, wie man hier leben kann. Dann Oklahoma: erste Bäume und Wäldchen, kleine Flüsse und Seen, Knicks wie in Schleswig-Holstein, grüne und bewässerte Felder zwischendurch – einfach alles viel schöner! Ich habe im Bus nach Oklahoma nach beinahe zwei Jahren das erste Mal wieder richtig Musik gehört: Led Zeppelin, Eric Claptons ‹Laydown Sally› und das wirklich schöne Country-Stück von Three Dog Night : ‹I’ve never been to heaven, but I’ve been in Oklahoma.›»
Ich war nicht im Himmel, sondern in Oklahoma angekommen, und hier würde ich auch Weihnachten verbringen. Immerhin gab es ein paar zerlesene Bücher, mit denen ich mir die Zeit vertreiben konnte. Solange der Tag meiner Rückkehr feststand, konnte ich alles andere ertragen. «Ich bin froh, dieses Land für immer verlassen zu können. Die Schauergeschichten, die ich zu hören bekomme, reißen einfach nicht ab, ich könnte inzwischen stundenlang
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