Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)
über richtig furchtbare Fälle berichten. Was hier läuft, ist wirklich verbrecherisch», schrieb ich nach Hause.
Weihnachtsgrüße, wie ich sie im Jahr zuvor aus Oakdale nach Hamburg geschickt hatte, ersparte ich mir dieses Mal. Den einzigen Brief, den ich aus Oklahoma schrieb, nutzte ich eher für Organisatorisches: Meine Familie bat ich, schon mal einen Friseurtermin für mich in Hamburg zu organisieren. Vielleicht könnte sich auch jemand ein wenig Zeit für eine Shoppingtour mit mir reservieren. Es hing kein Kleidungsstück zu Hause im Schrank, das mir jetzt noch passen würde. Und meine Band Friday Night erinnerte ich daran, dass ich sie zum nächsten Probentermin am 11. Januar in unserem Übungskeller erwartete.
Den Jahreswechsel von 2007 auf 2008 erlebte ich im Herzen von Manhattan. New York hatte mich immer besonders fasziniert, ich hatte bei meinen Amerikareisen oft einen längeren Zwischenstopp eingelegt und zwei oder drei Tage hier verbracht. Eigentlich kannte ich mich ganz gut aus. Diesmal aber saß ich im Metropolitan Correctional Center Manhattan, und zwar im SHU, der Security Housing Unit. Durch einen schmalen Schlitz konnte ich nach draußen spähen: So erlebte ich die Silvesternacht. Ich hörte ein bisschen Geknalle, ansonsten bekam ich nicht viel mit.
Das Gefängnis liegt zwischen den Brückenköpfen der Brooklyn Bridge und Manhattan Bridge, in bester Citylage. Dass man mich in Isolationshaft genommen hatte, sei eine reine Routinemaßnahme, das mache man mit allen Neuzugängen hier so, erklärte mir ein guard nach ein paar Tagen . Was befürchteten sie? Dass sich dieser Rechtsanwalt aus Deutschland, der in wenigen Tagen in seine Heimat und in die Freiheit zurückkehren würde, am Ende noch als unberechenbarer Gewalttäter, als lebende Zeitbombe entpuppte?
Eine Woche im SHU – anscheinend sollte ich alles, was das amerikanische Gefängnissystem zu bieten hat, einmal erlebt haben, bevor ich nach Hause zurückdurfte. Nachdem ich diese Quarantäne überstanden hatte, verbrachte ich die restlichen Tage unter halbwegs annehmbaren Bedingungen. Ich durfte sogar noch einmal, versehen mit einer dick wattierten Jacke, zum Freigang aufs Dach des Gefängnisses steigen und den Himmel über New York sehen. Anhand einiger Hochhäuser, die das Gefängnis überragten, versuchte ich herauszufinden, wo ich mich eigentlich genau befand. Es war das letzte Mal, dass ich in dieser großartigen Stadt sein würde – das war mir in diesem Moment sehr bewusst.
Am 8. Januar 2008 wurde ich in einen viel zu großen blauen Jogginganzug und weiße Turnschuhe gesteckt und, in Handschellen und Fußfesseln, auf meine Abholung zum Rückflug nach Hamburg vorbereitet. Zwei Beamte des Hamburger Landeskriminalamtes waren eigens nach New York gekommen, um mich, der jetzt zu einem Strafgefangenen der Bundesrepublik Deutschland werden würde, hier in Empfang zu nehmen. Sie staunten nicht schlecht, als sie meine Fesseln sahen, und wollten von mir nur eines wissen: Wurde ich zwangsweise aus Amerika deportiert, oder erfolgte die Überstellung auf mein Verlangen?
Der guard aus dem MCC, der mit mir zum Flughafen fuhr, fand es reichlich übertrieben, dass zwei weitere Autos den Polizeiwagen eskortieren, als gälte es, einen Schwerverbrecher außer Landes zu bringen. An der Abflughalle vorbei ging es dann zum Flugzeug, einem Linienflug der Lufthansa. Ich stieg mit meinen beiden Begleitern ein, bevor die anderen Fluggäste kamen.
Auf der Schwelle zur Kabine nahmen mir meine amerikanischen Bewacher die Handschellen und Fußketten ab. Ich habe seitdem nie wieder irgendwelche Fesseln getragen.
31
Am 9. Januar 2008 stand ich gegen 14 Uhr vor dem Richter der Großen Strafkammer 5 des Landgerichts Hamburg. Ich war ein wenig übernächtigt. Sehr früh am Morgen war unsere Maschine pünktlich in Frankfurt gelandet. Den Mitreisenden dürfte nicht einmal aufgefallen sein, dass zwei Kriminalbeamte und ein deutscher Strafgefangener mit an Bord waren. Auf dem Rhein-Main-Flughafen hatte man mich für ein paar Stunden in eine Arrestzelle der Polizei gesperrt, in der ich immerhin ein bisschen schlafen konnte. Vor der endgültigen Einreise nach Deutschland wurde ich dann noch einer Leibesvisitation unterzogen. Die Beamten entschuldigten sich ausdrücklich für diesen Vorgang. Dann stiegen wir in das Flugzeug nach Hamburg.
Vom Flughafen Fuhlsbüttel war es zum Holstenglacis gegangen. Hier lag das Hamburger Untersuchungsgefängnis, und in
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