Ich gestehe
Taxe! Da hat sich was in dieser Nacht summiert, Gisèle. Und wir stehen da mit leeren Taschen und Beuteln. Kennst du Madame Blichet? Gott sei Dank nicht. Sie wollte die Polizei rufen. Sie brüllte wie ein gestochenes Walroß. Bis sie erfuhr, daß wir alle junge Ärzte sind und unser Diplom feierten. Ausgerechnet bei ihr! Da wurde sie milder und stimmte einem Kompromiß zu: Laroche mußte wieder auf die Zimmer und als Gynäkologe ins Dritte Auge blicken. Bei allen!«
»Es war fürchterlich!« sagte Pierre Laroche müde. »Nach einer solchen Nacht! Man konnte zum Vaginahasser werden!«
»Dann kam ich dran!« Fioret räusperte sich. »Hals-Nasen-Ohren. Der Fünf-Löcher-Doktor. Als nächster Vince, der Internist. Dann Aldai als Lungenfachmann. Am besten hatte es Jean, denn er ist ja Neurologe. Er ließ sich Kreide geben, zog quer durch das Wartezimmer von Madame Blichet einen Strich und befahl allen Mädchen, mit geschlossenen Augen darüber zu gehen. Sie schafften es alle. ›Sie haben die besten Strichmädchen von Paris, Madame!‹ sagte er dann auch noch. Ich denke, jetzt zerreißt uns Madame. Aber sie lachte schallend und warf uns dann aus dem Haus.«
Fioret griff Lisette, die gerade an unserem Tisch vorbeihuschte, unter den Rock. Prompt quietschte sie: »Mon Dieu!«
»Für alle noch einen Pastis!« schrie Fioret. »Meine Lieben! Das muß gefeiert werden! Unser erstes Honorar als Arzt bei Madame Blichet. Wenn das kein guter Anfang für eine Weltkarriere ist …«
Es wurde ein fröhlicher, lauter, am Ende sehr schweinischer Nachmittag, wie immer bei Fioret und Genossen. Ich machte mit, ich war ja in ihrer Clique. Für sie war ich quasi geschlechtslos, ein Kumpel wie sie. Aber ich muß an diesem Nachmittag ein schlechter Genosse gewesen sein. Ich dachte immer an Gaston Ralbais. Ich versuchte mir seine Augen vorzustellen. Wie sie sich verändern könnten in der Ekstase der Umarmung.
Ich habe es jedesmal erlebt, daß sich die Augen eines Mannes in diesen Sekunden verändern. Die Farbe der Regenbogenhaut verändert sich. Hellblaue Augen werden tiefdunkelblau, braune fast schwarz, grau-grüne beginnen zu phosphoreszieren. Es ist faszinierend, in diesen Sekunden in die Augen eines Mannes zu blicken. Aber welche Frau kann das dann noch?
Gaston Ralbais. Ich bin verrückt. Verzeihen Sie mir. Sie waren gestern ein vollendeter Kavalier mit kleinen Mogeleien. Ein charmanter Nachtbegleiter.
Daß Sie die Stunde im Jardin du Luxembourg nicht ausnutzten, war verdammt anständig von Ihnen.
Aber dumm!
Zwei Tage später sah ich Gaston wieder. Nicht, weil wir uns verabredet hatten, denn wir hatten beim Abschied an jenem Morgen ausgemacht, uns erst am kommenden Sonntag wieder zu treffen, sondern durch einen dummen Zufall, dessen sich das Schicksal so oft bedient, um Menschen zueinander, aber auch auseinander zu bringen.
Ich hatte mich bei Prof. Dr. Bocchanini melden lassen, um an der Klinik meine Kenntnisse in der Anästhesie zu vervollständigen. Bocchanini war ein bekannter Chirurg, und bei ihm und seinen großen Operationen konnte ein junger Arzt am besten lernen, was es heißt, die richtige Narkose zu geben und das Befinden der Frischoperierten zu überwachen.
Als ich in dem großen Gebäude durch die langen, weißen, nach Desinfektion riechenden Gänge geführt worden war und in das Zimmer des Chefarztes eintrat, war Prof. Bocchanini nicht anwesend, sondern nur sein Oberarzt. Zuerst bemerkte ich ihn nicht in dem großen Zimmer. Dann aber, als ich die Tür etwas geschlossen hatte, schrak ich zusammen und schüttelte die Haare aus der Stirn.
Dr. Gaston Ralbais trat mir entgegen.
»Sie?« fragte ich gedehnt.
»Ist es Ihnen nicht recht? Der Chef ist auf einem Chirurgenkongreß in Köln. Ich vertrete ihn. Sie müssen wohl oder übel mit mir vorlieb nehmen.« Er zeigte auf einen Stuhl vor dem großen Schreibtisch, der übersät war mit Röntgenplatten und Krankheitsgeschichten. »Aber bitte, setzen Sie sich doch, liebe Kollegin.«
Ich nahm Platz und holte meine Papiere aus der Tasche. Ralbais winkte ab. »Das geben Sie bitte bei der Verwaltung ab. Ich habe nur Ihre ärztlichen Kenntnisse zu prüfen, aber auch das fällt ja fort – in unserem Falle.«
Er betonte das ›unser‹ so stark, daß ich fühlte, wie ich rot wurde.
»Ich kann also als Anästhesieassistentin anfangen?« fragte ich. Bewußt gab ich meiner Stimme einen neutralen, dienstlichen Ton.
»Schon morgen. Übrigens, was machen Sie heute abend?«
»Ich bin
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