Ich, Gina Wild
nichts aus.
Die Eltern behinderter Kinder wollen so normal wie möglich behandelt werden. Die wollen auf keinen Fall Mitleid. Sie wollen Fürsorge und Geborgenheit. Und die Sicherheit, dass sie ihr Kind auch mal mit gutem Gewissen zurücklassen können, um sich frisch zu machen oder sich einmal anderen Dingen zu widmen.
Bei den Schwerstbehinderten merkt man oft sehr deutlich, dass die Ehen der Eltern sehr belastet sind. Es lag bei uns Schwestern, darauf zu achten, dass meistens die Mutter wieder in ihr Familienleben zurückkehren kann und ihre gesunden Kinder und ihren Partner nicht zu sehr vernachlässigt. Die hatten einfach diesen Drang, immer beim Kind zu kleben. Durch die sinnvolle Einrichtung des Rooming-in ist es ihnen möglich, Tag und Nacht da zu sein.
Wir mussten diese Eltern davon überzeugen, dass es auch noch etwas anderes gibt, als ihr behindertes Kind. Das gelang nur, indem wir ihnen die Verantwortung aus der Hand rissen. Manchmal mit Nachdruck.
Ich habe durch mein rheinisches Wesen eine ziemlich lockere Klappe. Und bei uns waren - so makaber das klingt - fast immer nur Stammgäste auf der Station. Die kamen regelmäßig, denn diese Kinder sind ja sehr anfällig. Ständig bekommen sie Magen-Darmgrippen und Lungenentzündungen, weil das Immunsystem nicht intakt ist.
Ich habe es geschafft, zu diesen Eltern einen guten Draht aufzubauen. Wenn ich den Eindruck hatte, dass sie mir ein wenig Vertrauen entgegenbrachten, sagte ich schon mal: »Liebe Frau. Wissen sie was, fahren sie jetzt mal nach Hause, legen sie sich in die Badewanne, machen sie sich ein schönes Essen und genießen sie den Abend mit ihrem Mann. Ihr Kind ist hier in guten Händen. Verlassen sie sich darauf.«
Wenn die dann wirklich gingen, war das ein Erfolgserlebnis für mich. Weil sie mir Vertrauen zeigten.
Natürlich bekamen wir kleine Geschenke. Schokolade, Kaffee. Aber das Wichtigste war für mich das Vertrauen. Außerdem hatten sie die Gelegenheit, jederzeit anzurufen. Wenn ich Nachtdienst hatte, durfte ich ohnehin nicht schlafen.
Ich kann mich erinnern, dass nach so einer freien Nacht eine Mutti zu uns kam und wie verwandelt wirkte. Sie war schön zurechtgemacht, geschminkt und sah richtig glücklich aus. Vor allem hatte sie es genossen, einmal richtig ausschlafen zu können.
Das war das schöne an diesem Job - anderen Menschen zu helfen. Nicht nur den Kindern, sondern der ganzen Familie. Sonst hätte ich dieses Leid nicht ausgehalten. Das geht nur mit Idealismus.
Das alles ist freilich nicht zu vergleichen mit dem Glück, Pornostar zu sein. Das hat mich eher auf eine egoistische Art glücklich gemacht. Ich hatte Orgasmen, und es hat mich befriedigt zu wissen, dass Tausende mir zugucken.
Vielleicht war es auch ein wenig die Macht, die mich reizte. Die Macht, die ich hatte, weil ich wusste, die holen sich jetzt alle einen runter, wenn sie dich sehen.
Die Macht zu wissen, dass die erst mal in die Videotheken gehen und bezahlen müssen, um sich dann selbst zu befriedigen.
Die Macht, in ihnen ein Bedürfnis zu wecken, das sie an sich selber stillen.
Allerdings habe ich nie Befriedigung dabei empfunden, dass jemand von mir abhängig ist. Das wäre mir eher unangenehm.
Mein innerstes Bedürfnis ist es, andere glücklich zu machen.
Wenn andere glücklich sind, bin ich auch glücklich. So ist das auch mit meinem Mann. Wenn er glücklich ist, in meiner Nähe zu sein; wenn er sich bei mir geborgen fühlt, erst dann fühle ich mich auch wohl.
Das Verhältnis zwischen den Ärzten und dem Pflegepersonal war locker aber respektvoll. Das Klischee vom immergeilen Karbolmäuschen ist kompletter Quatsch. Es gab eine Hierarchie. Den Chefarzt haben wir gesiezt. Zwischen den Stationsärzten und den Schwestern ging es schon freundschaftlicher zu. Jeder hatte seinen Aufgabenbereich.
Leider war im Stolberger Krankenhaus alles noch ziemlich steril. Alles war weiß. Anfangs durften nur die Kittel bunt sein. Dann haben wir durchgesetzt, dass die Gardinen und das Bettzeug bunter wurde.
Für die Kinder ist diese Umgebung sowieso schon schlimm genug. Das wusste ich aus eigener Erfahrung aus der Kinderklinik. Und die war wirklich schrecklich.
Im Unterkurs, ganz am Anfang meiner Ausbildung, habe ich etwa 1000 Mark verdient. Im Oberkurs 1300 Mark. Als ausgebildete Kinderkrankenschwester kam ich ohne Nachtdienst auf 2200 Mark. Später, im Clementine Kinderhospital in Frankfurt kam ich mit Nachtschichten auf 3500 Mark brutto.
Wer diese Zahlen kennt,
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