Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!
Rücken. Kein Beruf läge mir ferner als der der Börsenspekulantin.
Sobald mein Konto zwanzig Euro ins Soll rutscht, werde ich unruhig. Sobald es zweihundert Euro ins Soll rutscht, bekomme ich schlechte Laune. Sobald es mehr als zweitausend Euro ins Soll rutscht, mache ich mir echte Sorgen. Die beiden vertikalen Sorgenfalten über meiner Nasenwurzel wirken wie in Stein gemeißelt, meine Gedanken kreisen, ich schlafe schlecht, ich verliere den Appetit, ich esse zu wenig, mir ist übel. Wenn es ganz schlimm um mich steht, wird aus der Appetitlosigkeit eine chronische Magenschleimhautreizung, dann kotze ich gleich morgens nach dem Aufstehen beim Zähneputzen ins Waschbecken.
Ich fange an, immer wieder die immer gleichen Zahlenkolonnen untereinanderzuschreiben, Einnahmen rechts, Aus gaben links, um mich zu versichern, dass unser Geld für die laufenden Kosten reicht und wir nicht immer weiter in die Miesen geraten werden. Ich tue das geradezu zwanghaft – so als müsste ich die Zahlen durch regelmäßige Verschriftlichung einer Beschwörung unterziehen, weil sie sonst meiner Macht entgleiten, sich selbstständig machen und am Ende gegen uns wenden werden, um uns in den Abgrund zu ziehen. Ich frage meinen Mann, was mit uns passieren wird, wenn uns keine Weihnachtsgeld- oder Steuerrückzahlung rettet. Oder wenn eines Tages auf dem Zettel steht, dass unsere Ausgaben unsere Einnahmen übersteigen.
»Na ja«, sagt mein Mann, »dann müssen wir endlich mal weniger ausgeben. Das wird ja wohl möglich sein.«
Das klingt logisch, aber meine Verarmungsangst ist immun gegen logische Argumente. Sobald ich Miese auf einem Kontoauszug sehe, gerate ich in diffuse Weltuntergangsstimmung. Es wird, das ahne ich, nicht gerade die ganze Welt sein, die untergeht. Aber immerhin doch meine eigene. Und die ist mir nun einmal von allen die liebste.
Wenn ich also, was das Finanzielle angeht, imstande bin, außer mich zu geraten vor Sorge, obwohl ich niemals ernsthaft Grund zur Sorge hatte: Wie werde ich reagieren, wenn es tatsächlich Grund zur Sorge gibt? Zum Beispiel weil alles viel teurer wird, als man gedacht hat? Das wird es ja erfahrungsgemäß immer, egal ob man in den Urlaub fährt, shoppen geht oder ein Haus kauft – nur dass ein doppelt so teurer Einkaufsbummel meist im Rahmen des Verkraftbaren liegt, während ein doppelt so teures Haus ein handfester Grund für schlaflose Nächte ist. Ich werde mich in eine hysterische Furie verwandeln.
Zweitens: Eine hysterische Furie ist ein sozial unverträgliches Wesen. Ich werde meine innere Anspannung abzubauen versuchen, indem ich meinen Mann und meine Kinder so oft wie irgend möglich anschreie. Ich werde vor lauter Haareraufen nicht mehr dazu kommen, meiner Arbeit, dem Schreiben, nachzugehen oder ein anständiges Essen auf den Tisch zu stellen. Ich werde unaufhörlich Zahlen addieren und den Kopf nicht mehr frei haben für guten Sex und gute Gespräche. Kurzum: Ein Hauskauf wird nicht nur meine Nerven, sondern meine Ehe und unsere Familie ruinieren.
Drittens: Einerseits habe ich eine absurde Angst davor, mein schönes Leben könnte sich verändern. Andererseits überkommt mich eine große Beklemmung bei der Vorstellung, mein schönes Leben könnte für immer ganz genau so bleiben, wie es gerade ist.
Ich liebe meinen Job. Aber wenn ich mir klarmache, dass ich diesen Job noch mindestens fünfundzwanzig Jahre machen muss, möchte ich sofort etwas ganz anderes werden, Hebamme oder Astrophysikerin zum Beispiel. Ich liebe meinen Mann. Ich habe mein halbes Leben mit ihm verbracht. Ich möchte mit ihm alt werden, wirklich. Aber wenn ich mir bewusst mache, dass das bedeutet, dass ich mich für den Rest meines und seines Lebens nie mehr werde verlieben dürfen, umflort auf der Stelle Melancholie und Wehmut mein Gemüt. Ich sehe ein, dass es viele gute Gründe für den Erwerb einer selbst genutzten Immobilie gibt. Aber ein Eigenheim ist nun einmal der sichtbare, betonierte, unverrückbare Beweis dafür, dass man irgendwo angekommen ist, von wo man sich mit einiger Wahrscheinlichkeit nie wieder wegbewegen wird, selbst wenn alle Immobilienkäufer das Gegenteil schwören: »Hey, und wenn es uns dort irgendwann nicht mehr gefällt oder die Kinder aus dem Haus sind, dann verkaufen wir halt wieder und ziehen in eine zentral gelegene Dreizimmerwohnung.«
Von wegen. Man braucht nur die Generation unserer Eltern anzuschauen, dann weiß man, wie’s läuft: Die Kinder ziehen aus, aber sie sollen ja
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