Ich hab dich im Gefühl
sagt Al schließlich großkotzig. »Es darf diskutiert werden.«
Als er und Doris haltlos zu lachen anfangen, steht Justin auf und verlässt das Zimmer.
»Hey, wo willst du denn hin?«
»Der Flugbucher«
, erklärt er und zwinkert ihnen zu.
Einunddreißig
Um Viertel nach sieben am nächsten Morgen bleibt Justin auf dem Weg zur Arbeit, die Hand schon auf der Klinke, wie angewurzelt an der Wohnungstür stehen.
»Justin, wo ist Al? Er war nicht im Bett, als ich aufgewacht bin«, ertönt eine verschlafene Stimme, und Doris schlurft in Hausschuhen und Bademantel aus ihrem Zimmer. »Was in aller Welt tust du denn da, du komischer kleiner Mann?«
Justin legt den Finger auf die Lippen, um sie zum Schweigen zu bringen, und deutet mit einer Kopfbewegung zum Fenster.
»Ist der Blutspendemensch da draußen?«, flüstert sie aufgeregt, kickt ihre Hausschuhe weg und schleicht mit übertriebenen Bewegungen wie eine Comicfigur auf Zehenspitzen zu ihm an die Tür.
Er nickt heftig. Sie drücken beide ein Ohr an die Tür, und Doris’ Augen werden groß.
»Ich kann ihn hören!«
, formt sie mit den Lippen.
»Okay, bei drei«, flüstert er zurück, und gemeinsam zählen sie lautlos, aber mit deutlichen Mundbewegungen
Eins, zwei
… Bei drei reißt Justin mit voller Kraft die Tür auf. »Ha! Erwischt!«, ruft er, geht in Angriffspose und streckt den Zeigefinger dabei mit mehr Aggression aus als beabsichtigt.
»Aaaah!«, schreit der Postbote erschrocken und lässt mehrere Umschläge fallen, die neben Justins Füßen landen. Gleichzeitig schleudert er Justin ein Päckchen entgegen und hält sich ein zweites schützend vor den Kopf.
»Aaaah!«, schreit auch Doris.
Justin krümmt sich, da das Päckchen schmerzhaft seine Leistengegend trifft, fällt auf die Knie, wird knallrot im Gesicht und schnappt nach Luft.
Keuchend pressen sich alle Beteiligten die Hand auf die Brust.
Der Postbote verharrt in gebückter Stellung, die Knie gebeugt, den Kopf hinter dem Päckchen.
»Justin!«, ruft Doris, hebt einen der Umschläge auf und schlägt Justin damit auf den Arm. »Du Idiot! Es ist bloß der Postbote!«
»Ja«, stößt Justin hervor. »Das sehe ich jetzt auch.« Er braucht einen Moment, um sich einigermaßen zu fassen. »Alles in Ordnung, Sir, Sie können das Päckchen jetzt runternehmen. Tut mir leid, dass ich sie erschreckt habe.«
Langsam lässt der Mann das Päckchen sinken und blickt Justin ängstlich und verwirrt an. »Was sollte das denn bitte?«
»Ich dachte, Sie wären jemand anderes. Tut mir wirklich leid, ich hab erwartet, dass …« Er schaut auf die Umschläge am Boden. Lauter Rechnungen. »Ist sonst nichts für mich dabei?«
Auf einmal fängt sein linker Arm wieder mückenstichartig an zu jucken, wie er das in letzter Zeit häufiger tut. Er kratzt sich. Zuerst nur ganz leicht, und er klopft auf die Armbeuge, um das Jucken so zu vertreiben. Aber davon wird es nur stärker, und er gräbt die Nägel in die Haut und kratzt. Schweißperlen erscheinen auf seiner Stirn. Der Postbote schüttelt den Kopf und geht vorsichtig ein Stück zurück.
»Hat Ihnen vielleicht jemand etwas gegeben, was Sie an mich ausliefern sollen?« Justin richtet sich wieder auf und geht ein Stück auf den Mann zu. Ohne es zu beabsichtigen, wirkt er bedrohlich.
»Nein! Ich hab doch schon nein gesagt«, beteuert der Postbote und eilt die Treppe hinauf.
Verwirrt schaut Justin ihm nach.
»Lass den Mann in Ruhe. Deinetwegen hatte er ja schon fast einen Herzanfall.« Doris hebt weiter die Umschläge auf. »Wenn du dem echten Blutspendemenschen so gegenübertrittst, wirst du ihn jedenfalls mit Sicherheit verscheuchen. Falls du ihm jemals begegnest, solltest du dein ›Ha! Erwischt!‹-Manöver vielleicht noch mal überdenken.«
Justin zieht den Ärmel seines Hemds hoch und betrachtet die juckende Stelle. Eigentlich hat er rote Knötchen, eine Schwellung oder einen Ausschlag erwartet, aber auf seiner Haut ist nichts zu sehen außer den Kratzern, die er sich selbst zu verdanken hat.
»Nimmst du irgendwas?«, fragt Doris mit zusammengekniffenen Augen.
»Nein!«
Mit einem gewichtigen Räuspern schlurft sie zurück in die Küche. »Al?«, ruft sie, und ihre Stimme hallt in der Küche wider. »Wo bist du?«
»Hilfe! Kann mir bitte jemand helfen!«, erklingt in diesem Moment Als Stimme, weit weg und gedämpft, als hätte ihm jemand eine Socke in den Mund gestopft.
Erschrocken schnappt Doris nach Luft. »Baby?« Sofort rennt sie in die Küche
Weitere Kostenlose Bücher