Ich habe abgeschworen
Einleitung
I ch bin 1956 im Iran geboren, dort aufgewachsen und habe vor der islamischen Revolution vier Jahre Medizin studiert. Ich musste vor dem neuen Regime fliehen, mein Mann wurde hingerichtet. Zehn Jahre lang lebte ich als Partisanin der verbotenen Opposition gegen das Mullah-Regime in den Bergen zwischen Iran und Irak. Schließlich flüchtete ich nach Europa, nach Wien, wo meine Töchter zur Welt kamen. Seit über zehn Jahren lebe ich nun mit meiner Familie in Deutschland. Da mich mein Lebensweg in meinem politischen Engagement geprägt hat, werde ich ihn in diesem Buch beschreiben.
Ich halte die Befreiung der Frauen für den Kernpunkt jeder freien Gesellschaft, und mein besonderes Engagement gilt den Frauen, die in islamischen Staaten von Steinigung oder dem Strang bedroht sind, weil sie (angeblich) Ehebruch begangen haben. Erst wenn jede Frau ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ausüben kann, werde ich ruhen.
Mit den Anschlägen des 11. September 2001 hat auch in Deutschland eine Diskussion über Gewalttaten im Namen des Islam eingesetzt. Aber sie waren längst Alltag – für viele Frauen, die als Zwangsbräute aus der Türkei geholt wurden, für Frauen, die von ihrem Ehemann wegen Unfolgsamkeit wie im Koran befohlen gezüchtigt wurden. Für Mädchen, die unter dem Kopftuch einer Heirat entgegensahen, während für ihre deutschen Geschlechtsgenossinnen die heterosexuelle Ehe nur noch eine der ihnen offen stehenden Lebensformen war.
Berichte über Ehrenmorde erschüttern die deutsche Öffentlichkeit von Zeit zu Zeit. Das Schicksal von Hatun Sürücü, die Anfang 2005 erschossen wurde, weil sie die Ehre der Familie verletzt habe, verstörte viele Menschen. Nachdem drei Brüder angeklagt waren, nahm der Jüngste alle Schuld auf sich. Gegen die Freisprüche der anderen beiden läuft das Rechtsmittelverfahren. Die Bilder ihrer Schwester, die mit Kopftuch ein Victory-Zeichen in die Kameras machte, als die beiden älteren Brüder vom Vorwurf des Mordes freigesprochen wurden, und ihr offensichtlicher Glaube, der Mord an ihrer Schwester sei eine rechtmäßig durch ein Familiengericht verhängte Strafe gewesen, lassen wenig Spielraum für Verständnis.
Aber auch der Tod von Hatun Sürücü lässt viele Deutsche, nicht zuletzt engagierte Linke, nicht erkennen, was sie mit ihrer Forderung nach Toleranz gegenüber islamischen Gruppierungen anrichten, die selbst keine Toleranz kennen gegen alles, was »unrein« ist. Hatun Sürücü, die ihren vom Vater für sie ausgesuchten Mann verlassen hatte, gehört ebenso dazu wie Lesben und Schwule und Ungläubige, also Nicht-Moslems.
Gegen Religion, privat in einem säkularen Staat ausgeübt, deren Glaubenssätze nicht gegen die freiheitlichrechtliche Grundordnung oder die allgemeinen Menschenrechte und die Gleichberechtigung der Frau verstoßen, habe ich nichts. Aber ich halte den Islam in seiner heutigen Form nicht für reformierbar. Deshalb habe ich öffentlich abgeschworen, wie bis heute fast 200 Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Der Islam müsste von innen heraus eine Aufklärung durchlaufen, ein schmerzhafter Prozess, der im Christentum Hunderte von Jahren gedauert hat (und an den fundamentalistischen Strömungen im Christentum bis heute vorbeigegangen ist). Aber dazu braucht er keine staatliche Anerkennung, keine neuen Moscheen und keine Scharia. Im Gegenteil, dazu muss er aufgeben, eine das ganze Leben von Menschen regelnde einzige Wahrheit sein zu wollen, die göttlich und unumstößlich ist, er muss Zweifel und Atheismus zulassen und aushalten. Deshalb möchte ich meine deutschen Mitbürgerinnen und Mitbürger wachrütteln, wem gegenüber sie Toleranz üben, wenn sie sich mit den Islamverbänden an einen Tisch setzen.
Die Scharia in Deutschland
E s war ein heißer Apriltag mit geradezu hochsommerlichen Temperaturen gewesen. Doch jetzt, am Abend, war es draußen kühl geworden. Vor einer Stunde hatte ich den Balkon verlassen. Nun saß ich in einem Sessel am Bett meiner 17-jährigen Tochter Anita 1 .
Unsere abendlichen Gespräche in ihrem Zimmer, ich mit dem Laptop auf dem Schoß, sie, schon im Pyjama, ausgebreitet auf der Bettdecke mit Blick auf den Fernseher, sind ein von uns beiden geliebtes Ritual. Ich zog mir die Decke über die Füße, die Wärme tat meinem Knie gut. Vor zwei Monaten war ich am Meniskus operiert worden. Die verschlissenen Knie sind ein Andenken an meine zehn Jahre Leben in den kurdischen Bergen des Iran und Irak. Nun, 17 Jahre später,
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