Ich habe abgeschworen
dem Kopftuch zu studieren gestattet wird, wenn sie Lehrerinnen und Ärztinnen werden. Denn rechtlich, zivilrechtlich in der Scharia, bleiben sie ihrem Mann untergeordnet. Und das alles in einem Land, in dem der Spiegel in einer großen Titelgeschichte im Juni 2007 von den »Alpha-Mädchen« schreibt: »Eine junge Frauengeneration macht sich auf den Weg an die Macht – und glaubt nicht mehr an die Versorgung durch die Ehe.« Zu dieser Frauengeneration gehören meine Töchter. Dennoch erzählte mir Anita, wie sie in der Schule, als sie mit 14 ihren ersten Freund hatte, gefragt wurde, wie denn ihre Eltern das sähen. »Die mögen ihn auch«, antwortete sie. Und ihre deutschen Mitschülerinnen und Mitschüler glaubten das nicht so recht: »Bei euch Muslimen ist das doch nicht erlaubt!« »Wie kommst du darauf, dass ich Muslima bin?«, konterte sie.
Ich habe in meinen 17 Jahren in Europa erlebt, wie ich von der »Ausländerin« (obwohl ich seit über zehn Jahren einen österreichischen Pass besitze) in den Augen vieler immer mehr zur »Muslima« wurde. Vor einigen Jahren interviewte mich ein WDR-Fernsehmagazin zu meiner Arbeit als Menschen- und Frauenrechtlerin. Untertitelt wurde ich mit »Mina Ahadi – muslimische Frau«. Wie oft kommt Alice Schwarzer in den Medien zu Wort – aber sie wurde nie betitelt als »christliche Frau«!
All das ging mir durch den Kopf, als ich meine Tochter auf ihrem Bett betrachtete. Ich bin in meinem 50-jährigen Leben weit geflohen vor der Diktatur der Mullahs im Iran. Nun sehe ich den Einfluss des politischen Islam in Deutschland wachsen und nach mir und meinen Töchtern greifen. Und ich sehe meine hier geborenen deutschen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die wegschauen, verharmlosen und »tolerant« sein möchten bis zum Preis der Selbstverleugnung. Ich staune, wie leichtfertig sie die ja auch in der europäischen Geschichte schwer erkämpften, individuellen Menschenrechte aufgeben, statt sie zu verteidigen – für alle Menschen, die in Deutschland leben.
Deshalb habe ich mit zunächst 30 mutigen Mitstreiterinnen und Mitstreitern den Zentralrat der Ex-Muslime gegründet, sie gaben ihren Namen für die Kampagne »Wir haben abgeschworen«, 17 erschienen auf dem Kampagnenplakat. Zudem standen uns deutsche Säkularisten und Atheisten solidarisch zur Seite. Wir Nicht-Gläubigen aus den Ländern mit mehrheitlich islamischer Religion und/oder islamischen Diktaturen möchten in diesem Land der Religionsfreiheit endlich wahrgenommen und ernst genommen werden. Meine Töchter und alle Kinder sollen die Freiheit der Wahl, keiner Religion anzugehören, behalten oder erhalten. Im Namen der islamischen Religion verübte Verbrechen sollten nicht länger durch die vermeintlich »andere Kultur« entschuldigt und die Opfer ignoriert werden. Inzwischen ist unsere Zahl auf rund 200 »bekennende Abschwörer« angewachsen. Wir bekamen von Anfang an viele Anfragen aus dem Ausland, woraufhin sich im Lauf des Jahres 2007 Zentralräte der Ex-Muslime in Skandinavien, Holland und England gründeten. Selbst aus arabischen Staaten und dem Iran bekommen wir Zuspruch. Nicht zuletzt »heimliche Atheisten« in diesen Regionen, deren Leben bei Bekanntwerden ihres Nicht-Glaubens in höchster Gefahr wäre, danken uns für die Unterstützung durch unser Bekenntnis.
Wie brisant unser »Outing« als Ex-Muslime sein würde, wusste ich vom ersten Moment, als die Idee entstanden war. Aber erst an diesem Abend, als ich neben meiner Tochter saß, fühlte ich die Bedrohung. Während sie eine Sendung über Erdbeben und ihre Entstehung verfolgte, surfte ich im Internet auf einigen Seiten von islamischen Diskussionsforen. Dort fand ich schnell meinen Namen. »Mina Ahadi wird für die erste Steinigung in Deutschland sorgen, denn sie wird selbst die Gesteinigte sein!« »Wer diese Frau vergiftet, ist nur die ausführende Hand Allahs!« Ich musste einen dicken Kloß in meinem Hals hinunterschlucken und merkte, dass mein Puls sich beschleunigt hatte. Ich spürte die Angst körperlich und schaute sogar kurz zur Tür. Natürlich würde diese nicht aufgehen und eine wilde Meute hereinstürmen, jeder mit einem Stein bewaffnet, »nicht so groß, dass die verurteilte Person nach ein bis zwei Steinwürfen stirbt, aber auch nicht so klein, dass man sie nicht als Steine bezeichnen könnte«, wie es im iranischen Gesetzbuch steht.
Aber ich war nicht immun gegen diese Bedrohungen. Schon die Vorstellung, dass irgendwo da draußen Menschen waren,
Weitere Kostenlose Bücher