Ich habe den Todesengel überlebt - Mozes Kor, E: Ich habe den Todesengel überlebt
hatte, nur weil er ein Mann und mein Vater und der Vorstand des Haushalts war. Wir schienen also nie einer Meinung zu sein, Papa und ich.
Ich erhielt eindeutig mehr Aufmerksamkeit von ihm als Miriam oder meine anderen Schwestern, doch war es nicht immer die Art von Aufmerksamkeit, die ich mir gewünscht hätte. Ich hatte nie gelernt, die Wahrheit mit harmlosen kleinen Lügen zu umgehen, deshalb war ich ständig in Schwierigkeiten. Ich erinnere mich, wie ich manchmal auf Zehenspitzen im Haus umherschlich, um meinem Vater aus dem Weg zu gehen, weil er mich und mein vorlautes Mundwerk zweifellos oft satthatte.
Rückblickend allerdings wird mir bewusst, dass meine Streitigkeiten mit Papa mich abhärteten, mich noch stärker machten. Ich lernte, Autoritäten ein Schnippchen zu schlagen. Diese Kämpfe mit meinem Vater bereiteten mich, ohne dass ich es wusste, auf das Kommende vor.
Meine Mutter war ganz anders als mein Vater. Sie war recht gebildet für eine Frau in der damaligen Zeit, denn nicht alle Mädchen durften ja zur Schule gehen. Insbesondere unter gläubigen Juden erwartete man zu jener Zeit von den Mädchen und Frauen meist, dass sie sich um Heim und Familie kümmerten, während Bildung und Studium den Jungen vorbehalten waren. Und während meine Mutter dafür sorgte, dass wir lesen, schreiben und rechnen lernten und uns Geschichtswissen und Sprachen aneigneten, lehrte sie uns doch gleichzeitig, uns auch um andere in unserer Gemeinde zu kümmern.
Wir waren die einzige jüdische Familie in Portz, unserem Dorf, und pflegten mit allen freundlichen Umgang. Meine Mutter erfuhr alle lokalen Neuigkeiten, und häufig half sie unseren Nachbarn, vor allem schwangeren jungen Frauen, wenn sie in Not waren. Sie brachte ihnen Nudeln oder Kuchen, half ihnen im Haushalt, wenn sie krank waren, gab ihnen Ratschläge zur Kindererziehung und las ihnen Unterweisungen oder Briefe von anderen Familienmitgliedern vor. Mich und meine Schwestern lehrte sie, ihrem Beispiel zu folgen und den weniger Wohlhabenden unsere Hilfe anzubieten, insbesondere da es uns besser ging als vielen anderen Leuten in unserem kleinen Bauerndorf.
Dennoch verbreitete sich schon fast seit unserer Geburt Antisemitismus in Rumänien, unserem Land. Das bedeutete, dass die meisten Menschen um uns herum keine Juden mochten, ganz einfach weil sie Juden waren. Wir Kinder waren uns des Antisemitismus nie bewusst, bis 1940, als die ungarische Armee kam.
Einmal erzählte uns mein Vater von einem antisemitischen Vorfall, etwas, das ihm selbst 1935 zugestoßen war, als Miriam und ich gerade ein Jahr alt waren. In jenem Jahr schürte die Eiserne Garde – eine gewaltbereite, antisemitische Partei, die die dörflichen Amtsstuben, die Polizei und die Zeitungen kontrollierte – Hass gegen Juden, indem sie unwahre Geschichten über deren Verderbtheit erfand, wonach sie, die Juden, andere zu betrügen trachteten und nach der Weltherrschaft strebten. Mein Vater und sein Bruder Aaron wurden von der rumänischen Eisernen Garde ins Gefängnis geworfen unter der Anklage, Steuern hinterzogen zu haben. Dabei war dies eine reine Lüge; sie hatten stets ihre Steuern bezahlt. Sie wurden nur deshalb herausgegriffen und eingesperrt, weil sie Juden waren.
Papa erzählte uns, dass er und Aaron, als sie aus dem Gefängnis kamen, nach Palästina zu reisen beschlossen – sie wollten sehen, ob sie sich dort eine Existenz aufbauen konnten. Palästina war einst eine Landfläche im Mittleren Osten gewesen, auf der die Juden vor ihrer Vertreibung zur Zeit des Römischen Reichs lebten; vor allem in Zeiten der Verfolgung wurde Palästina stets von vielen Juden als Heimat betrachtet. Ein Teil der Landfläche war zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts für jüdische Einwanderer reserviert worden, und 1948 wurde dort schließlich der unabhängige Staat Israel gegründet.
Mein Vater und Onkel Aaron blieben ein paar Monate in Palästina und kamen dann nach Rumänien zurück. Nach ihrer Heimkehr verkauften Onkel Aaron und seine Frau ihre gesamten Ländereien und Habseligkeiten und planten ihre Auswanderung oder ihren Wegzug.
Papa drängte Mama, ebenfalls das Land zu verlassen und sich in Palästina anzusiedeln. »Es ist gut dort«, sagte er. »Das Land ist warm. Es gibt jede Menge Arbeitsstellen.«
»Nein«, protestierte sie. »Mit vier kleinen Kindern kann ich nicht umziehen.«
»Wir müssen jetzt fort, bevor es hier für uns schlimmer wird«, drängte mein Vater, der in Sorge war wegen der
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