Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg
interessiert, nennt sich heute nicht mehr religiös, sondern spirituell. Um elf Uhr ist Schluss mit der Philosophie. Good night im Einzelzimmer. See you on the way. Morgen geht es nach Pamplona. Ich stelle fest: Pilgern ist ein Sprachkurs .
Der HERR wird ein Volk über dich schicken von ferne, von der Welt Ende, wie ein Adler fliegt, des Sprache du nicht verstehst, 5. Mose 28.49
3. Tag von Zubiri nach Pamplona
Heute sind 20 Kilometer zu bewältigen. Langsam aber sicher verlassen Martin und ich die gebirgige Landschaft der Pyrenäen. Der Weg führt durch ein Tal, über Feld- und Wanderwege. DieAusschilderungen mit gelben Pfeilen und Muschelsymbolen sind nach wie vor tadellos. Kleine Steigungen sorgen bei schwülen 32 Grad dafür, dass wir viel schwitzen und viel trinken. Meine Beine sind weiterhin ein bisschen lahm. Der Muskelkater in den Waden ist dabei ein Genuss für sich. Ich kaufe mir Magnesium-Sprudeltabletten gegen die nicht zu verleugnende, zarte Krampfneigung. Meine kleinen Zehen und der linke Fußrücken sind zur Vorsicht mit Pflaster getapet. Die Stellen waren gestern Abend ein bisschen angegriffen.
Ich klage nicht. Martin hat Probleme der nächsthöheren Kategorie: Er muss mit zwei Alu-Wanderstöcken und zudem sehr langsam gehen: Die große Blase an seiner Ferse und das Knieproblem zwingen ihn, Schmerztabletten zu schlucken. Er ist für ein paar Tausend Euro von Kanada hierher geflogen, hat sich wochenlang frei genommen und will und kann natürlich zu Recht nicht gleich bei den ersten Schwierigkeiten aufgeben. Ich helfe ihm, so gut ich kann. Seine Blase an der Ferse entwickelt sich langsam zu einer fünfmarkstückgroßen, klaffenden Wunde. Bergab läuft er nur noch in Schlangenlinien, um den Druck von der schmerzenden Stelle zu nehmen. Er muss sich morgen in Pamplona unbedingt Sandalen kaufen.
Trotz oder wegen der Strapazen finden wir immer wieder fröhlich skurrile Gesprächsthemen.Man spaziert hier auf dem Jakobsweg einfach los und fühlt sich schon nach zwei, drei Tagen wie aus der Welt herausgefallen. Gehen und reden - eine tausend Jahre alte Therapie. Martin hat seinen Wehrdienst in einer Scharfschützeneinheit bei der kanadischen Armee absolviert. Beim Aufstieg auf unseren täglichen Berg sind wir ganz in ein Gespräch über Präzisionsgewehre vertieft, als wir eine Frau überholen. Sie versteht allerdings auch Englisch - Pech für uns - und äußert empört ihr Befremden über unser unethisches Thema auf dem Camino. Wir versichern ihr aber glaubhaft, dass wir schon sehr religiös seien, nur eben nicht den ganzen Tag über den Papst sprechen könnten. Dann sehen wir zu, dass wir weiterkommen. Jetzt mache ich mir Sorgen, dass ein paar richtig gute Christenmenschen uns morgen die heilige Inquisition auf den Hals hetzen.
Martin ist in diesen Tagen nicht der einzige, der mit Schmerztabletten vorwärtskommt. Das Doping mit Medikamenten aller Art, vom Muskelrelaxanz über Schmerztabletten, Schlaftabletten oder auch Aufputscher ist nicht ungewöhnlich hier auf dem Camino. Gut, dass die Pilger-Polizei, die Martin und ich aus ordnungspolitischen Gründen in unseren Nonsens-Gesprächen erfunden haben, hier keine Dopingkontrollen durchführt. Wer am Jakobsweg eine Apotheke führt, hat jedenfalls ausgesorgt. Auch sonst hätte die Pilger-Polizei reichlich zu tun. Unser Traum: Wer als Pilgerabkürzt, den Bus nimmt, mit dem Fahrrad fährt -oder gar mit dem Auto - kriegt die rote Karte und muss wie bei Monopoly von vorn anfangen. „Gehe nicht über Los, ziehe nicht 4000 Mark ein…“ Dazu kommen die ärgerlichen Schmieranten, die sich auf jedem Wegweiser verewigen müssen, die Umweltverschmutzer, die Schnarcher…
Kurz vor Pamplona führt der Weg direkt an einem alten Natursteinanwesen vorbei. Das große Gebäude steht leer und schnell entwickeln wir während unserer Pause ein modernes Herbergskonzept mit asiatischem Spa. Einzel- und Doppelzimmer, eine gepflegte Küche und japanische Masseusen - hier ist alles möglich. Einen professionellen Business-Kasper wollen wir aber nicht mit der windigen Finanzierung beauftragen. Wir versprechen uns, im Falle eines Lotteriegewinnes das Projekt gemeinsam anzugehen.
Die schöne, mediterrane Stadt Pamplona, in die wir nach acht Stunden langsamen Gehens und viel Trödelei einlaufen, ist das Zentrum des Baskenlands und die Provinzhauptstadt von Navarra. Die halbe City hängt voller baskischer Forderungen nach Unabhängigkeit. Gesprühte Parolen an den Hauswänden und
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