Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg
Recht auf ein Bett, einen abschließbaren Schrank am Kopfende und gemeinschaftliche Sanitäreinrichtungen für eine Nacht. Alles ist nagelneu, sauber, gut organisiert - wie eine riesige, moderne deutsche Jugendherberge. Da kann man nicht meckern. Ein paar holländische Freiwillige von einer Jakobsgesellschaft verbringen hier zwei Wochen Urlaub und weisen uns Neupilger in das Mit- und Durcheinander in der Herberge ein. Die gewaltigen Schlafsäle sind in kleine Viererkammern unterteilt. Ich habe ein Oberbett und übe mich nicht zum letzten Mal im Erklimmen einer dürren Leiter, die in die Füße schneidet, wenn man sich hochwuchtet. Ich breite meinen Seidenschlafsack - das gute Stück wiegt nur 115 Gramm - auf einer sauber bezogenen Matratze aus. In meiner Viererkabine liegen mit mir eine Ungarin, ein erneut sprachloser Asiate, der schonnachmittags schläft, und ein junger Spanier. Duschen, die Klamotten des Tages in Handwäsche reinigen und zum Trocknen aufhängen. Diese festen Tagesaufgaben sind fortan Teil meines Pilgeralltags. Immerhin müssen Hemd, Unterwäsche und Socken am nächsten Morgen wieder möglichst trocken sein, um im Rucksack verschwinden zu können. Und ich habe nun mal zwei - und exakt nur zwei - Garnituren Klamotten dabei.
Jetzt habe ich Hunger. Das war ein Kalorien verschlingender Tag. Es ist 17 Uhr und bestimmt 100 hungrige Pilger stromern zwischen den wenigen Gebäuden herum. So nüchtern wie der Magen wird nach einiger Zeit auch die Laune. Der Jakobsweg wirkt gleich zu Beginn als Keimzelle schleppender Ernährungserlebnisse. Die drei Restaurants mit Ernährungsmonopol wollen uns gleich am ersten Abend konsequent zu spanischer Lebensart erziehen. Soll heißen: Zu essen gibt es nur mit Anmeldung - und keinesfalls vor 19 Uhr. Spanier essen gern nachts. Ist man mit der Anmeldung zu spät dran, wie ich, ist man erst um 21.30 Uhr in der dritten Essensschicht an der Reihe. Es gibt heute deutlich mehr Pilger als Stühle am Esstisch. Tolle Wurst. Und gut abgestimmt, denn bereits um 22 Uhr macht die Herberge aus Gründen sozialer Rücksichtnahme dicht. Der Zapfenstreich in den Massenunterkünften sollte in den kommenden Wochen noch so manchen gemütlichenAbend frühzeitig beenden.
Ich probiere das dritte, am weitesten entfernte Restaurant und habe Glück: Zu essen gibt es Pilgermenü Nummer zwei meines Camino. Für neun Euro werden Forelle mit Fritten, zuvor Nudeln mit Soße und danach ein Joghurtbecher natur serviert. Allerdings nicht jetzt, obwohl ich Hunger habe, sondern wenn es dem Koch passt: um 19.30 Uhr. In unserer Not beschließen wir, zumindest unserer Leber einen Gefallen zu tun und wenden uns einem spanischen Heiligen zu: Mit Martin trinke ich ein Bierchen der Marke „San Miguel“ auf der Terrasse. Dieser flüssige Sankt Michael begleitet uns fortan durch so manchen Nachmittag der geistigen und körperlichen Erbauung.
Die erste Nacht auf dem Camino wird mit gefühlten 200 Mitschlafenden in Hörweite recht gesellig. Ich versuche, das Unmögliche möglich zu machen: Eine gute Nacht unter unzähligen Mitschläfern. Ich gebe zu, in Sachen gemeinsamen Schlafens war ich immer schon ein wenig empfindlich. Ich werde halt einfach schon beim kleinsten Geräusch sofort hellwach. Das ist keine gute Voraussetzung für das Nächtigen in Schlafsälen, und ich weiß das. Positiv: Die Ungarin unter mir gibt keinen Mucks von sich und der Asiate hat seit nachmittags einfach bis morgens leicht röchelnd durchgeschlafen. Ich frage mich, ob er wohl von irgendwo jenseits des indischenOzeans in einem Rutsch hierher marschiert sein könnte - bei so viel Erschöpfung.
Neben einigen bösartigen Schnarchern in der Nachbarschaft bleibt aus dieser Nacht vor allem der Spanier im Oberbett neben mir in besonderer Erinnerung. Der junge Mann - nur gut einen Meter Luftlinie von mir entfernt - leidet an Schlaflosigkeit und Durstattacken. Bitter, nicht nur für ihn. Dass man Spanier in einer spanischen Herberge dazu zwingt, um zehn im Bett zu liegen und dort lautlos zu verharren, ist allerdings auch Schikane. Sie sind ja eher nachtaktiv und tendenziell laut, wie uns im Laufe der Pilgertour klar wird. So darf ich seine aufrichtigen Versuche begleiten, die in ihn gesetzten Erwartungen der Hausordnung zu erfüllen: Nachdem das Licht runtergedimmt ist - so ganz dunkel wird es aufgrund der nächtlichen Pinkelpilger in dieser Nacht nie - nutzt er seine mit ins Bett genommene Alu-Trinkflasche. Er hat sie neben sich im Bett an der
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