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Ich habe mich verträumt

Ich habe mich verträumt

Titel: Ich habe mich verträumt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristan Higgins
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Stücke. Sofort waren wir von einer Wolke aus Merlot umhüllt, die die Frühlingsdüfte ausblendete.
    „Ups“, sagte ich mit seltsam krächzender Stimme.
    „Verdammt noch mal“, fluchte mein neuer Nachbar und rieb sich die Wange, „was haben Sie bloß für ein Problem?“
    Als ich sein Gesicht sah, zuckte ich zusammen. Sein Auge war noch immer zugeschwollen, und selbst im schwachen Licht war die dunkle Verfärbung zu erkennen. Ganz schön beeindruckend.
    „Hallo“, sagte ich.
    „Hallo“, bellte er.
    „Äh, also … Herzlich willkommen in der Nachbarschaft“, krächzte ich. „Ist alles … äh … in Ordnung?“
    „Nein, ist es nicht.“
    „Brauchen Sie Eis?“ Ich trat einen Schritt vor.
    „Nein!“ Er wich einen Schritt zurück.
    „Hören Sie“, begann ich erneut, „es tut mir wahnsinnig leid. Ich bin nur hergekommen, um … na ja, um mich zu entschuldigen.“ Ich erkannte die Ironie in der Tatsache, dass ich ihn bei meiner Entschuldigungsmission wiederum verletzt hatte, und lachte nervös auf. Es klang wie bei Angus, wenn er Gras hochwürgte.
    Der Mann sagte nichts weiter, sondern funkelte mich nur böse an, und ich ertappte mich dabei, dass ich seinen Schläger-Look ziemlich … heiß fand. Er trug Jeans und ein helles T-Shirt, und ja, er hatte wirklich muskulöse Arme. Mit starken, kräftigen Muskeln, nicht so übermäßig definiert wie bei Leuten, die zu viele Stunden in verspiegelten Fitnessräumen verbrachten. Nein, dies waren Handwerker-Arme. Stahlarbeiter-Arme. Mann-der-Autos-reparieren-konnte-Arme. Plötzlich hatte ich das Bild von Russell Crowe in L . A. Confidential vor Augen. Wissen Sie noch, wie er am Ende des Films hinten im Auto sitzt, den Kiefer verdrahtet, sodass er nicht reden kann? Ich fand das unglaublich erregend.
    Ich schluckte. „Hallo, ich bin Grace“, sagte ich als Versuch eines Neuanfangs. „Ich möchte mich wegen … letzter Nacht entschuldigen. Es tut mir furchtbar leid. Und natürlich tut es mir auch leid, dass ich jetzt … schon wieder … Bitte entschuldigen Sie.“ Ich sah auf seine Füße, die nackt waren. „Ich glaube, Sie bluten. Vielleicht sind Sie in eine Scherbe getreten.“
    Er sah nach unten, dann zu mir. Nennen Sie mich paranoid, aber er wirkte irgendwie angewidert.
    Mehr brauchte es nicht. Er war verletzt, blutete, roch nach Wein und – als absolutes Schmankerl – verabscheute mich. Ich fand den Typen ungemein anziehend. Mein Gesicht fühlte sich heiß an, und ich war froh, dass es dunkel war.
    „Hören Sie“, sagte ich bedächtig. „Es tut mir aufrichtig leid. Es sah einfach so aus, als wollten Sie einbrechen … das ist alles.“
    „Vielleicht sollten Sie das nächste Mal lieber nüchtern sein, wenn Sie die Polizei rufen“, gab er zurück.
    Mir fiel die Kinnlade herunter. „Das war ich! Ich war nüchtern.“ Ich zögerte. „So ziemlich.“
    „Ihr Haar stand nach allen Seiten ab, Sie rochen nach Gin, und Sie haben mir mit einem Spazierstock eins übergebraten. Klingt das nüchtern für Sie?“
    Schweißperlen liefen mir den Rücken hinunter. „Tatsächlich war es ein Feldhockeyschläger, und meine Haare sind immer so. Wie Sie vielleicht sehen können.“
    Er verdrehte die Augen – na gut, das eine Auge, das nicht zugeschwollen war … Offenbar tat das weh, denn er zuckte zusammen.
    „Es war nur … Sie wirkten verdächtig, das ist alles. Ich war nicht betrunken. Vielleicht ein bisschen angeheitert, okay. Ein winziges bisschen.“ Ich schluckte. „Aber es war nach Mitternacht, und Sie hatten ja ganz offensichtlich keinen Schlüssel, oder? Also … Sie wissen schon. Es sah verdächtig aus. Das war alles. Es tut mir leid, dass Sie die Nacht im Gefängnis verbringen mussten. Sehr, sehr leid.“
    „Schön“, brummte er.
    Tja, das lief nicht unbedingt so gut wie in meiner Weintrink-Gitarrenmusik-Fantasie, aber es war ein Anfang. „Also“, sagte ich, zu einem freundschaftlichen Abschied entschlossen, „ich habe leider Ihren Namen nicht mitbekommen.“
    „Den habe ich nicht genannt.“ Er verschränkte die Arme und starrte mich eisig an.
    Na prima. „Okay. Es war nett, Sie kennenzulernen, wie auch immer Sie heißen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.“ Er schwieg weiter. Mit äußerster Vorsicht legte ich die Harke beiseite, zwang mich zu lächeln und ging an den Glassplittern vorbei … an ihm vorbei. Jede Bewegung war mir fast schmerzhaft bewusst. Der Weg zu meinem Haus, obwohl nur wenige Meter lang, kam mir unendlich weit

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