Ich habe mich verträumt
aus, schloss Angus im Keller ein, damit er mir nicht nachrannte und den Typen auch noch biss, und machte mich mit meinem Friedensangebot auf den Weg nach nebenan. Brownies und Wein. Das Frühstück für Sieger. Welcher Mann konnte da widerstehen?
Der Weg zu Nummer 36 war irgendwie … Furcht einflößend. Der bröckelnde Zementpfad, das verfallene Haus, das hohe Gras, in dem Schlangen oder sonst was lauern konnten, die Stille, die wie ein feindseliges, hungriges Tier über dem Grundstück lag. Entspann dich, Grace. Du hast nichts zu befürchten. Du bist nur die nette Nachbarin, die sich für den Schlag an den Kopf entschuldigen will .
Die vordere Veranda des Hauses war schief, die Treppe aus weichem, verfaultem Holz. Mein Gewicht konnte sie dennoch halten, während ich leise und vorsichtig hinaufstieg. Da ich keine Hand freihatte, klopfte ich mit dem Ellbogen an die Türund wartete. Mein Herz pochte laut in meinen Ohren. Ich erinnerte mich an das kleine … Kribbeln … das ich gespürt hatte, als ich den Nicht-Einbrecher in Handschellen auf meiner Treppe sitzen gesehen hatte … Seine jungenhafte Haartolle, die breiten Schultern. Und in der Sekunde, bevor ich ihn geschlagen hatte … Er hatte ein nettes Gesicht gehabt. Hallo hatte er gesagt. Hallo .
Auf mein Klopfen reagierte niemand. Ich stellte mir vor, wie es ablaufen könnte: Der Nachbar würde die Tür öffnen, durch die leise Musik drang – vielleicht lateinamerikanische Gitarrenmusik? Sein Gesicht, das unter einem Auge nur leicht und kaum merklich gerötet wäre, würde sich bei meinem Anblick aufhellen. „Oh, hallo meine Nachbarin!“, würde er sagen und lächeln. Ich würde mich entschuldigen, und er würde lachend abwinken. Der Duft von gebratenem Huhn in Knoblauch würde zu uns herüberwehen. „Möchten Sie vielleicht reinkommen?“ Ich würde einwilligen und mich nochmals für mein unglückliches Missgeschick entschuldigen. Er würde erneut abwinken: „Das hätte jedem passieren können.“ Wir würden uns unterhalten und auf Anhieb gut verstehen. Er würde erzählen, dass er Hunde liebte, sogar hyperaktive, verhaltensauffällige Terrier. Dann würde er seiner netten, hübschen Nachbarin ein Glas Wein einschenken …
Sehen Sie? In meiner Vorstellung waren dieser Typ und ich bereits auf dem besten Weg, gute Freunde zu werden, vielleicht sogar mehr. Leider schien er im Moment nicht da zu sein, also war er sich dieser erfreulichen Tatsache noch nicht bewusst.
Ich klopfte erneut, wenn auch leise, da ich, offen gesagt, ein bisschen erleichtert war, dass ich ihm nicht wirklich gegenübertreten musste, schöne Fantasien hin oder her. Dann stellte ich meine Geschenke vor der Haustür ab und stieg die verrotteten Stufen vorsichtig wieder hinunter.
Nun, da ich wusste, dass er nicht zu Hause war, sah ich mich eingehender um. Das Licht der Straßenlaterne tauchte den Vorgarten in unheimliches, leicht orangefarbenes Licht. Ich war noch nie hier gewesen, hatte mir aber hin und wieder Gedankenüber das Haus gemacht. Es war arg vernachlässigt – Dachziegel fehlten, und vor ein Fenster im Obergeschoss war eine Plastikplane gespannt. Das Gitterwerk unter der Veranda sah aus wie ein Gebiss mit unzähligen Zahnlücken.
Es war ein schöner lauer Abend. Die Luft roch feucht nach aufziehendem Regen, vermischt mit dem kupferartigen Geruch des Flusses, und in der Ferne ertönte das melodische Quaken von Fröschen. Dieses Haus könnte richtig schön werden, dachte ich, wenn jemand es restaurierte. Vielleicht war mein Nachbar aus genau diesem Grund hier. Vielleicht würde er ein wahres Prachtstück daraus machen.
Der bröckelnde Zementpfad, der von der Straße zum Haus führte, verlief an der Seite entlang weiter nach hinten. Von dem Typen keine Spur. Allerdings lag da eine Harke quer über dem Gehweg. Jemand könnte darüber stolpern, dachte ich. Stolpern, fallen, den Kopf an der Vogeltränke aus Beton anschlagen, blutend im Gras liegen … Hatte er nicht schon genug erlitten?
Ich ging hin und hob die Harke auf. Sehen Sie? Ich war jetzt schon eine gute Nachbarin.
„Ist das von Ihnen?“
Die Stimme erschreckte mich so sehr, dass ich herumfuhr. Unglücklicherweise hielt ich noch immer die Harke in der Hand. Noch unglücklicher war, dass ich dem Mann dabei mit dem Holzgriff über die Wange schrammte. Erschrocken taumelte er zurück. Die Weinflasche, die ich gerade vor seiner Tür abgestellt hatte, fiel ihm aus der Hand und zersprang auf dem Weg krachend in tausend
Weitere Kostenlose Bücher