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Ich habe mich verträumt

Ich habe mich verträumt

Titel: Ich habe mich verträumt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristan Higgins
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Sie vermieden es, einen Raum zu betreten, wenn der andere sich darin aufhielt.
    „Und, wie findest du ihn?“, fragte ich Natalie. Ich tat, als wäre alles normal.
    „Er ist toll“, antwortete sie und wurde puterrot. „Sehr nett.“
    Das reichte mir. Mehr musste ich nicht hörten. Warum sollten wir auch über Andrew reden? Ich fragte sie über die Uni aus, gratulierte ihr zum Praktikumsplatz bei Cesar Pelli und bewunderte erneut ihre Perfektion, ihre Intelligenz, ihr gutes Herz. Schließlich war ich schon immer ihr größter Fan gewesen.
    Zu Weihnachten sahen Andrew und Natalie sich wieder. Sie mieden den Mistelzweig, als wäre er ein glühender Uranstab, und ich gab vor, nichts zu merken. Zwischen ihnen konnte ja nichts sein, denn er war mein Verlobter und sie war meine kleine Schwester. Als Dad verschlug, sie solle doch einmal mit Andrew unseren alten Schlitten ausprobieren, und beide keinen Weg fanden, sich zu drücken, lachte ich laut auf, als sie umfielen und ineinander verschlungen durch den Schnee rollten. Nein, nein, da war nichts.
    Von wegen.
    Ich wollte und konnte nichts sagen. Jedes Mal, wenn sich in mir diese kleine Stimme regte, für gewöhnlich um drei Uhr früh, sagte ich ihr, sie liege falsch. Andrew war doch hier bei mir. Er liebte mich. Ich streckte die Hand aus, berührte seinen knochigen Ellbogen und seinen zarten Hals. Was wir hatten, war echt. Und wenn Nat ein bisschen für ihn schwärmte … wer konnte ihr das schon verübeln?
    In zehn Wochen sollte meine Hochzeit stattfinden, dann in acht, dann in fünf. Einladungen wurden verschickt. Menüs zusammengestellt. Kleidung geändert.
    Dann, zwanzig Tage vor der Hochzeit, kam Andrew von der Arbeit nach Hause. Ich hatte einen Stapel Arbeiten neben mir auf dem Küchentisch liegen, und er hatte netterweise Essen vom Inder mitgebracht. Er füllte es sogar auf Teller um und goss die würzige Soße direkt über den Reis, so wie ich es gern mochte. Und dann kamen die schrecklichen Worte.
    „Grace … wir müssen da über etwas reden“, sagte er und starrte auf das Kulcha-Brot mit Zwiebelfüllung. Seine Stimme zitterte. „Du weißt, dass ich dich wirklich sehr gern mag.“
    Ich erstarrte und wagte nicht, den Blick von den Prüfungsarbeiten zu heben. Der Moment, über den ich bislang so erfolgreich vermieden hatte nachzudenken, war da. In dem Bewusstsein, dass mit Andrew von nun an alles anders sein würde, wagte ich kaum zu atmen. Mein Herz schlug schnell und dröhnend.
    Er mochte mich . Ich weiß ja nicht, wie das bei Ihnen ist, aber wenn ein Typ „Ich mag dich wirklich sehr gern“ sagt, weiß ich, dass es gleich ganz dick kommt. „Grace“, flüsterte er, und ich schaffte es nun doch, ihn anzusehen. Während unser unberührtes Knoblauch-Naan abkühlte, stammelte er, er wisse nicht ganz, wie er das sagen solle, aber er könne mich nicht heiraten.
    „Ich verstehe“, sagte ich wie durch einen Nebel. „Ich verstehe.“
    „Es tut mir ja so leid, Grace“, hauchte er fast tonlos, und man musste ihm zugutehalten, dass er Tränen in den Augen hatte.
    „Ist es Natalie?“, fragte ich leise. Meine Stimme klang ganz fremd.
    Er sah zu Boden, das Gesicht feuerrot, und fuhr sich mit zitternder Hand durchs Haar. „Natürlich nicht“, log er.
    Und das war’s.
    Wir hatten gerade das Haus an der Maple Street gekauft, auch wenn wir dort noch nicht wohnten. Als Teil der Abfindung, oder wie immer Sie es nennen wollen – Blutgeld, Reue, Wiedergutmachung seelischer Grausamkeit – überließ er mir seinen Anteil der Anzahlung. Dad überarbeitete die Finanzierung, gewährte mir Zugriff auf einige gemeinsame Fonds, die mein Großvater mir vererbt hatte, und senkte damit die monatliche Hypothek, sodass ich sie allein bestreiten konnte. Dann zog ich ein. Allein.
    Als Natalie davon erfuhr, war sie am Boden zerstört. Natürlich verriet ich ihr nicht den wahren Grund für unseren Bruch. Wortlos lauschte sie meinen Lügen … Es passte einfach nicht … war noch nicht bereit … dachte, wir sollten lieber ganz sicher sein .
    Danach stellte sie nur eine einzige leise Frage. „Hat er sonst noch etwas gesagt?“
    Sie muss gewusst haben, dass die Trennung nicht von mir ausgegangen war. Sie kannte mich besser als jeder andere. „Nein“, antwortete ich knapp. „Es sollte wohl einfach nicht sein. Wie auch immer.“
    Natalie hatte nichts damit zu tun, versicherte ich mir selbst. Es war einfach so, dass ich den Richtigen doch noch nicht gefunden hatte, egal, wie

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