Ich haette dich geliebt
die Mutter Theresa hier. Sie kümmert sich um Kranke, die sterben. Ich glaub, dass sie von der Caritas kommt. Keine Ahnung, wie sie das macht. Menschen in den Tod begleiten. Ich könnte das nicht.“
„Und Johanna könnte sicher nicht den ganzen Tag in einer Boutique stehen.“
Das war gemein.
„Sag mal, du bist ungenießbar, was ist denn los?“
Luise nahm meine Hand. Manche Menschen konnten einiges ab.
„Sorry, ich bin komisch drauf. Mir ist das alles zu viel, mit meinem Vater und so. Ich weiß nicht ...“
Mir brach die Stimme. Ich begann zu weinen. Das Schluchzen verebbte in ein leises Wimmern. Ich konnte nicht aufhören. Luise nahm mich in den Arm, und ich konnte sehen, dass ihr eine Träne über die Wange lief.
„Ich glaube, meine Eltern haben sich getrennt, weil jemand sich das Leben genommen hat. Jemand war in meinen Vater verliebt. Aber er liebte sie nicht zurück. Denn er liebte ja meine Mutter. Das Mädchen hat sich die Pulsadern aufgeschnitten. Ich kann mir das alles nicht vorstellen. Wieso hat meine Mutter sich so verantwortlich gefühlt? Eine Verrückte bringt sich um und alles zerbricht.“
Ich schämte mich dafür, Emma eine Verrückte zu nennen.
„Niemand bringt sich um ... wegen eines anderen Menschen. Immer nur um seiner selbst willen.“
Luise schaut mich mitfühlend an. Das tröstete mich nicht. Aber ich konnte nichts erwidern. Als der große Heulkrampf vorbei war, bestellten wir eine Flasche Rotwein und ich erzählte ihr alles, was ich in dem Brief gelesen hatte. Luise hörte zu und berührte mich dauernd am Arm oder im Gesicht. Nachdem die Flasche Wein leer war, überkam mich eine unheimliche Lust, Luise zu küssen. Was ich auch tat. Ich war mir nicht sicher, ob ich es aus puren Verlangen heraus machte oder aus dem Willen heraus, überraschen zu wollen. Zu gefallen.
Luise wirkte beseelt. Sie lehnte sich an meine Schulter. Ich drehte mich um. Niemand interessierte sich für die beiden Frauen, die sich näher waren, als normale Freundinnen. Umschlungen gingen wir den Weg durch den Wald zurück in die Stadt. Ich fragte Luise, was sie von alldem hielt. Von uns hielt.
„Brauchst du eine Erklärung dafür?“, fragte Luise zurück.
„Nein, ja, doch. Ich weiß nicht, was ich denken soll.“
Ich ließ Luises Hand los.
„Na, was wohl. Wir mögen uns, fühlen uns zueinander hingezogen. Wir sind zwei Frauen. Das ist das einzig Ungewöhnliche. Wäre ich ein Mann und du eine Frau, wären wir längst im Bett gelandet.“
Luise griff beherzt um meine Taille. Wir gingen schwei-gend bis zur Pension. Es war klar, dass Luise mitkommen würde. Wir legten uns aufs Bett. Die Gesichter einander zugewandt. Ich traute mich nicht, Luise zu berühren, obwohl ich es gerne getan hätte, und drehte mich um, in der Hoffnung, Luise würde sich mir nähern.
Ich spürte wie eine kleine zarte Hand meinen Bauch berührte. Und meine Brüste. Was sollte ich jetzt machen? Mich umdrehen?
„Du magst nicht, oder?“
„Ich weiß nicht. Ja und nein.“
Luise nahm meinen Kopf und legte ihn auf ihre Schulter. Mit der Hand strich sie über meine Haare. Es war komisch, denn genauso hatten es auch die Männer gemacht. Der stärkere Mann nahm die schwache Frau in seine Arme. Luise war stark. Und ich schwach.
Ich konnte hören, wie Luise nach guten zwei Stunden aufstand und ging. Dann schlief ich ein und erwachte vom Piepen meines Handys.
--Ich bin genauso verwirrt wie Du. Vermisse Dich jetzt schon.--
Luise war so offensiv. Ich fühlte mich fast bedrängt. Andererseits war ich beleidigt, wegen jedem neutralen Satz, den sie sagte oder schrieb. Und da war ja auch noch Mikkel. Ich versuchte mir vorzustellen, dass Luise mir morgens einen Kaffee machte oder wir uns die Zähne gemeinsam putzten. Dass wir über Urlaubspläne sprachen. Die normalen Dinge halt. Ich horchte ganz tief in mich hinein, als ob da eine Antwort wäre, auf all die Fragen, die ich hatte.
Meine Mutter hätte sicher etwas dagegen gehabt. Sie hätte es nicht ganz verstanden. Oder hätte sie Luise mit offenem Herzen empfangen? Ich stellte mir die lustige Familie vor. Eine alte Dame mit einem viel jüngeren Mann und zwei sich liebenden Frauen als Tochter und Schwiegertochter. Mir entfuhr ein Schnaufer aus der Nase. Das wäre was für eine dieser furchtbaren Talkshows: Meine Familie ist anders.
Die Frage, die mich am meisten aufrieb, war, ob meine Mutter Louis sehr vermisst hatte, ob sie sich gesehnt hatte. Oder sogar drauf und dran war, ihn
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