Ich hasse dich - verlass mich nicht
sich rechts von der Mitte einordnet, würde sich mehr zur Mitte hinbewegen, indem er eine Handlungsweise wählt, die die Bedürfnisse anderer stärker beachtet. Diese Position spiegelt die Ermahnungen des alten Gelehrten Hillel wider: »Wenn ich nicht für mich bin, wer ist für mich? Und solange ich nur für mich bin, was bin ich? Und wenn nicht jetzt, wann dann?«
Natürlich befindet sich niemand stets »in der Mitte«. Man muss seine Position auf der Skala ständig anpassen und die Wippe ausgleichen, wenn sie sich zu sehr in die eine oder andere Richtung neigt.
Veränderungen praktizieren
Für wahre Veränderung ist mehr erforderlich als einzelne Versuche, automatische Reflexe zu ändern. Dazu gehört, dass man alte Verhaltensweisen durch neue ersetzt, die schließlich so natürlich und angenehm wie die alten werden. Das heißt, dass man sich nicht still und heimlich vor dem feindlichen Hund davonstiehlt, sondern lernt, mit dem Hund Freundschaft zu schließen und mit ihm spazieren zu gehen.
Am Anfang bereiten derartige Veränderungen meistens Unbehagen. Ein Vergleich kann dies vielleicht besser erläutern: Ein Tennisspieler glaubt, dass er seine schlechte Rückhand verbessern muss. Die neuen Techniken, die er zur Verbesserung seines Spiels erlernt, bringen zu Beginn nur schlechte Ergebnisse. Der neue Stil ist nicht so vertraut wie der alte Schlag. Er ist versucht, zu seiner alten Technik zurückzukehren. Erst nach ständiger Praxis kann er seine früheren, schlechten Gewohnheiten ablegen und das wirkungsvollere und schließlich auch bequemere »Muskelgedächtnis« nutzen. Genauso macht eine psychische Veränderung die Annahme neuer Reflexe als Ersatz für die alten notwendig. Erst nach ausdauernder Praxis kann ein derartiger Wechsel wirkungsvoll, angenehm und damit dauerhaft erfolgen.
Humpeln lernen
Wenn eine tausend Kilometer lange Reise mit einem einzelnen Schritt beginnt, beginnt die Reise des Borderline-Patienten durch den Heilungsprozess mit einem Humpeln. Veränderungen bedeuten einen ungeheuren Kampf für die Borderline-Persönlichkeit. Sie sind für sie aufgrund der einzigartigen Merkmale der Störung viel schwieriger als für andere. Spaltung und fehlende Objektkonstanz (siehe Kapitel 2) bilden zusammen eine bedrohliche Barrikade, sodass man sich und anderen nicht vertrauen und keine sorgenfreien Beziehungen entwickeln kann.
Zu Beginn einer Veränderung muss sich die Borderline-Persönlichkeit aus einer bösen Falle befreien: Damit der Betroffene sich selbst und andere akzeptieren kann, muss er lernen zu vertrauen. Aber anderen zu vertrauen bedeutet, sich selbst, also der Art und Weise, wie wir andere wahrnehmen, zu vertrauen. Außerdem muss der Betreffende lernen, das ständige Vorhandensein und die Zuverlässigkeit der anderen zu akzeptieren. Für jemanden, der wie ein kleines Kind glaubt, andere würden für immer »verschwinden«, wenn sie den Raum verlassen, ist das eine recht schwierige Aufgabe. »Wenn ich Sie nicht sehen kann«, sagte Elisabeth zu Beginn ihrer Behandlung zu ihrem Psychiater, »habe ich das Gefühl, dass Sie gar nicht existieren.«
Die Borderline-Persönlichkeit muss wie ein Mensch nach einer Beinverletzung lernen zu humpeln. Wenn er im Bett liegen bleibt, kommt es zu Muskelschwund; wenn er versucht, zu kräftig zu üben, wird er das Bein erneut verletzen. Stattdessen muss er lernen zu humpeln – er muss das Bein gerade so viel belasten, dass es langsam wieder stärker wird, aber nicht so sehr, dass er es überanstrengt und damit die Heilung behindert (er muss leichte Schmerzen im Bein aushalten, die jedoch nicht überwältigend sein dürfen). Ähnlich muss die Borderline-Persönlichkeit beim Heilungsvorgang gerade so viel Druck ausüben, dass sie sich herausfordert, sich vorwärtszubewegen.
Im weiteren Verlauf von Elisabeths Therapie wurden kognitive Eingriffe durch einen psychodynamischeren Ansatz ersetzt, wobei den Verbindungen zwischen Erfahrungen in der Vergangenheit und derzeitigem Funktionieren mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Während dieser Übergangsphase verringerten sich die Interventionen des Therapeuten und Elisabeth übernahm mehr Verantwortung für einen größeren Teil der Therapie.
Die Vergangenheit hinter sich lassen
Die Weltsicht der Borderline-Persönlichkeit wird wie die der meisten Menschen durch Erfahrungen in der Kindheit geformt, in der die Familie als ein Mikrokosmos des Universums diente. Anders als gesunde Menschen kann sich die
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