Ich krieg dich!: Menschen für sich gewinnen - Ein Ex-Agent verrät die besten Strategien (German Edition)
Wochen dahingehend verdichtet.«
»Interessant«, murmelte ich und vergaß den Biergarten. Ein hohes Meldeaufkommen bedeutete, dass unsere Quellen viel zu berichten hatten; die Sache kam also in Bewegung. Wie Sabine. Sie stöckelte Richtung Tür, drehte sich um und warf mir einen ihrer Spezialblicke zu. Erinnerte ein wenig an Laser. In solchen Momenten zeigte unsere Star-Analystin überhaupt keine Ähnlichkeit mit einem Engel. Hatte sie schon eine bestimmte Gruppierung in Verdacht? Ich erwiderte ihren Blick und legte eine Frage hinein,
die ich natürlich niemals laut ausgesprochen hätte. Und ebenso natürlich biss Sabine nicht an. Sie war Vollprofi und wollte mich nicht beeinflussen. Ich sollte den Bericht unvoreingenommen lesen und selbst entscheiden. Ganz im Sinne unseres sehr geschätzten Abteilungsleiters Hans-Jürgen Baum, der gern Albert Einstein zitierte: »Es ist schwieriger, eine vorgefasste Meinung zu zertrümmern als ein Atom.«
Wenn wir von anderen Menschen Informationen erhalten, sind diese Informationen in den seltensten Fällen objektiv. Sogar wenn jemand sagt: »Es regnet«, können wir an seiner Stimme hören, wie er das findet; ob er enttäuscht ist, weil die Grillparty ausfällt, oder ob er sich freut, weil ihm dieser Regen das abendliche Gartengießen erspart. Wenn uns jemand etwas über einen anderen Menschen erzählt, muss er keine inhaltliche Wertung abgeben à la: Sie ist super, nett, hilfsbereit, arrogant, langsam. Es genügt, wie er über diesen Menschen spricht. Welchen Tonfall er dabei wählt, wie sein Gesichtsausdruck aussieht, welche Körperhaltung er einnimmt, ob er die Botschaft mit Gesten unterstreicht. Es gibt eine Vielzahl von Studien, aus denen ersichtlich ist, dass die Wirkung einer Botschaft nur zu sieben Prozent vom Inhalt der gesprochenen Worte abhängt. Die restlichen dreiundneunzig Prozent teilen sich auf in fünfundfünfzig Prozent Körpersprache (Auftritt, Bewegung, Gestik, Mimik) und achtunddreißig Prozent Stimme (Tonfall, Betonung, Artikulation). Wir konzentrieren uns häufig zu hundert Prozent auf den Inhalt und beachten die nonverbale Wirkung kaum. Diesen Fehler begeht das Unterbewusstsein nicht. Es richtet eine erhöhte Aufmerksamkeit auf die Zwischentöne. Sabine wusste das natürlich und gab mir nicht die kleinste Chance, irgendwelche Zwischentöne herauszufiltern. Ich sollte mir ein eigenes Bild machen, anstatt das ihre zu bestätigen. Das ist eine kluge Vorsichtsmaßnahme, denn ob wir uns darüber im Klaren sind
oder nicht — wir greifen eine Wertung auf, die ein anderer Mensch vorgenommen hat. In unserem eigenen System legen wir diese Information in eine Schublade, die dieser Wertung entspricht. Hören wir dann ein zweites Mal etwas Ähnliches, fühlen wir uns bestätigt und merken eventuell nicht, dass wir uns bereits fünfmal vom Gegenteil hätten überzeugen können. Das haben wir überhört, weil es nicht in unsere Schublade gepasst hat.
Denkschubladen sind notwendig, sonst würde unser Gehirn heiß laufen. Um sich davor zu schützen, speichert es Erfahrungen, die ähnlich gelagert sind, zusammen ab. So ermöglicht es uns einerseits einen stressfreien Alltag, andererseits verleitet es uns zu Fehlschlüssen.
Zu meinem Erstaunen bekam ich ganz zum Schluss doch noch einen Tipp von Sabine, da stand sie schon fast im Flur. »Morgen früh richten wir unsere Aufklärungsstrategie neu aus. Wir werden das Team vergrößern und voraussichtlich dich mit ins Boot holen.«
Das musste wirklich ein dicker Fisch sein, der da um unsere Angel kreiste. Ich schlug die rote Mappe auf. Bald schon war mir klar, dass Sabine Recht behalten mochte: Hier eröffneten sich Perspektiven, die uns zu Wladimir L. führen konnten. Viele Anzeichen sprachen dafür. Eine Garantie gab es nicht. Es wäre keinesfalls das erste Mal, dass eine Spur im Sand verlief oder Indizien nicht die Ergebnisse brachten, die sie versprachen. Selbst wenn wir Recht behielten, waren wir noch weit von einem Erfolg, einem Zugriff entfernt. Viel konnte bis dahin passieren, nicht zuletzt konnte die Gruppierung Wind von unserem Interesse bekommen. Das würde zu verstärkten Abschottungsmaßnahmen, maximaler Aufmerksamkeit und Misstrauen gegenüber allem und jedem führen — und unsere Arbeit erschweren.
Ihre fünfte Mission
Kontextkontrolle: Realität ist relativ
Der Agent weiß, dass seine Wahrnehmung das Ergebnis seines subjektiven Bewertungssystems ist. Der Agent entwickelt ein Bewusstsein darüber, dass
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