Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ich lege Rosen auf mein Grab

Titel: Ich lege Rosen auf mein Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
Vom Netzwerk:
vergleichsweise große Karriere zu starten?
    Wenn er Mugalle bleiben wollte, dann setzte das voraus, daß er zumindest einiges an Wirtschaftswissen erwarb, Bescheid wußte über Kredite und Banken. Also beschaffte er sich alles, was im Knast dazu zu finden war, nutzte jede freie Mark, sich von draußen Fachzeitschriften zu bestellen, machte sich auch mit Computern vertraut, so weit das theoretisch möglich war.
    In einer aus der DDR übernommenen Sendung hörte er eines abends einen Thälmannspruch, den er sich sofort zu eigen machte: «Der Mensch steht über seinem Schicksal, wenn er den Mut dazu hat, es zu wollen.»
    Gut, dann bin ich eben Mugalle!
    Stundenlang konnte er vor seinem kleinen halbblinden Spiegel stehen und mit monotoner Selbstsuggestion auf sich einreden:
    «Ich bin Martin Mugalle. Auf Grund schizophrener Störungen habe ich gedacht, der Journalist Jens-Otto Jossa zu sein. Das ist jetzt vorbei, denn ich bin Martin Mugalle. Auf Grund schizophrener Störungen habe ich gedacht, der Journalist Jens-Otto Jossa zu sein. Das ist jetzt vorbei, denn ich bin Martin Mugalle. Auf Grund schizophrener Störungen habe ich gedacht, der Journalist Jens-Otto Jossa zu sein. Das ist jetzt vorbei, denn ich bin Martin Mugalle. Auf Grund schizophrener Störungen…»
    Wie beim Rosenkranzbeten, immer und immer wieder, wie beim Drehen tibetanischer Gebetsmühlen.
    Dann sein Schrei, der die Scheiben beben ließ:
    «Mu-gal-le!»
    Jossa war die Krankheit.
    Die Krankheit wurde ausgetrieben.
    Jedesmal, wenn er in Jossas Art dachte und redete, kasteite er sich anschließend, lehnte Mittag- oder Abendessen ab, und immer, wenn er den Gedanken in sich aufkommen fühlte, doch Jossa zu sein und wieder voll und ganz Jossa zu werden, durfte er bis zum Morgen des darauffolgenden Tages nicht ans Onanieren denken: die vielleicht schlimmste aller Strafen, denn das war das einzige hier im Knast, was noch Lustgewinn einbrachte, wenn auch mitunter nur einen recht mühsamen.
    Er machte sich einen Werbespruch zurecht, den er fortwährend vor sich hinsummte: In jedem Falle bin ich Mugalle. In jedem Falle bin ich Mugalle. In jedem Falle…
    «Ich bin Martin Mugalle!»
    Es war trotzdem unglaublich schwer, den Jossa zu verdrängen, und des öfteren zog er Parallelen zwischen sich und einem Transvestiten: So sehr der sich vorgenommen hatte, eine Frau zu sein, so wenig war er schon am Ziel, wenn sie ihm Glied und Hoden abgenommen hatten. Als Mugalle registriert zu sein und Mugalle sein zu wollen, reichte da nicht; Bewußtsein und Gefühle waren umzupolen, und das dauerte, war nur in vielen winzig kleinen Schritten zu vollziehen. Und der alte Jossa in ihm, der wehrte sich noch immer nach Kräften.
    Oft erschöpfte ihn dieser Kampf in einem Maße, daß er furchtbar müde wurde, heftige Depressionen durchlitt, keinen Ausweg aus seinem Dilemma mehr sah, aus dieser ganzen Scheiße, ihn die beiden Kräfte «Mugalle» und «Jossa» förmlich zerrissen, und da dachte er dann oft daran, diesen Qualen mit einem Suizid ein schnelles Ende zu setzen.
    Wenn er morgens erwachte, befand er sich zumeist in einem schmerzhaften Schwebezustand, es gelang ihm nicht, richtig zu sich zu kommen, wie denn auch. Sein Ich pulsierte wie eine Wolke aus flutendem Gas hoch über ihm und wollte nicht in seinen Körper zurück. Und immer dieselbe Frage, wenn das Gehirn zu arbeiten anfing: Als was fühlte er sich heute, als Mugalle oder als Jossa? Mehr als Mugalle, mehr als Jossa? Als kranker Mugalle, der unter der Wahnvorstellung litt, Jossa zu sein, oder als auf mysteriöse Weise widerrechtlich eingesperrter Jossa, den sie zwangen, Mugalle zu sein?
    Aber mit jedem Tag verschoben sich die Gewichte doch unmerklich ein Stückchen in die Richtung Mugalle, dies zumindest tendenziell, denn natürlich gab es Augenblicke, da sah er alles wieder völlig objektiv und klar und realisierte voll, wie er sich da selbst betrog, in Schizophrenes bewußt hineinmanipulierte, um sich selbst entfliehen zu können, aus sich, im wahrsten Sinne des Wortes, herauszutreten und ein zweites Leben zu beginnen.
    In regelmäßigen Abständen wurde er auch von Dr. Seeling zum therapeutischen Geplauder gebeten.
    «Na, mein lieber Mugalle, in welchem Maße fühlen Sie sich denn noch immer als Jossa?»
    «Das wird ständig schwächer bei mir», antwortete er wahrheitsgemäß.
    «Das freut mich. Erzählen Sie mal…»
    Jossa berichtete ihm von den sich überlagernden Bildern, die ihn des öfteren «befielen», wie er

Weitere Kostenlose Bücher