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Ich lege Rosen auf mein Grab

Titel: Ich lege Rosen auf mein Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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aus Weltraumfernen, M42 (NCC1976), Großer Nebel im Orion, eine sonore Commander-Männerstimme.
    Das Piepsen eines Selektiv-Rufers, nein, die Stimme der Schwester von eben. «So ganz ansprechbar ist er immer noch nicht…»
    «Wer?»
    «Mugalle.»
    «Jossa…» flüsterte er. «Jossa…! Ich… bin… nicht mehr… Mugalle…»
    Dann war er wieder eingeschlafen.
    Von Tag zu Tag ging es ihm besser, die schnelle Operation hatte sich als überaus erfolgreich erwiesen. Sein Gehirn regenerierte sich bald, und sein Gedächtnis war, wie Tests ergaben, zu über neunzig Prozent erhalten geblieben. «Das ist zwar außerordentlich viel», sagte der Neurologe zu ihm, «aber denken Sie immer daran, daß das eine und andere Erlebnis halt doch völlig aus dem Speicher rausgefallen sein kann. Das entsprechende Aktionspotential ist da durch Kugel und Operation in Gänze zerstört worden und hat sich nicht wieder regenerieren können. Das soll, so sagen manche Kollegen, insonderheit für unangenehme Gedächtnisinhalte gelten, früher schon gern Verdrängtes. Wie auch immer: Stellen Sie sich vor, Sie sind mit Ihrem Jeep in der Sahara gestrandet, haben über Monate hinweg keine Zeitung lesen können, kommen nun nach Deutschland zurück und sehen sich Ihre geliebte Fußballbundesliga an, die Tabelle. Plötzlich steht da eine Mannschaft ganz oben, die bei Ihrer Abreise noch Fünfter war. Das sind die Fakten, aber alles, was dazwischen war: die Spiele, die Ergebnisse, die zu diesem Tabellenstand geführt haben, die müssen Sie sich jetzt erst mühsam zusammensuchen. So wird es Ihnen auch ergehen. Ein Freund kann auf Sie zugelaufen kommen und die tausend Mark wiederhaben wollen, die Sie sich von ihm geborgt hatten. ‹Ich weiß von nichts!› werden Sie ausrufen – und doch wird er recht haben. Ihre Vergangenheit ist zum Teil eine black box geworden, und Teile Ihres Lebens und Erlebens werden Sie sich ganz mühsam erst wieder rekonstruieren müssen, ganz entscheidende Teile unter Umständen auch…» Daß der Mann recht hatte, sollte schon sehr bald offenkundig werden, und Jossa ahnte auch, wie damit so mancher Irrweg für ihn vorgegeben war. «Aber, wie gesagt, Mugalle: über neunzig Prozent Ihres Gedächtnisses sind Ihnen ja erhalten geblieben.»
    Doch eines hatten Trauma und traumatisches Erlebnis völlig ausgelöscht: sein Gefühl und seine Gewißheit, Mugalle zu sein. Ganz klar erkannte er, wie er sich da, von den Umständen getrieben, selber manipuliert, einer Selbsthypnose unterzogen hatte, sich in die Krankheit geflüchtet, aufs Eiland Mugalle gerettet, wie auch immer. Nobbys Schuß und die Kugel im Gehirn hatten dem auf gewaltsame Weise ein abruptes Ende bereitet.
    Natürlich wollte er den Ärzten dies nicht sagen, nicht schon wieder als Verrückter abgestempelt werden («Der mit dem Kopfschuß, na ja, der…!»), Futter für Psychiater sein; diese Lektion hatte er im Knast nun wirklich begriffen. Er bezweifelte auch, ob die Neurologen um ihn herum, so wie sie «ihr» Organ noch immer voller Rätsel wußten, für dieses Ereignis, die Rückkehr zu sich selbst, einheitlich eine wirklich plausible Erklärung beibringen konnten. Außerdem stand zu befürchten, daß sie ihn, erklärte er sich, als Versuchskaninchen möglichst lange dabehielten, ja malträtieren würden, was die vielen Elektroenzephalogramme und die sonstigen, mehr psychologischen Testreihen betraf. Bei aller Dankbarkeit für ihr Wirken: um Gottes willen, nein!
    Ihnen danken, daß sie ihn zurückgeholt hatte? Sollte er’s wirklich? Nicht nur die erneute Umpolung seiner Ich-Identität hatte er da durchzustehen, vor allem ja galt es zu verarbeiten, daß Eva nicht mehr lebte, mit ihr sein Kind gestorben war.
    Ende der Mugalle-Zeit, Ende auch der Eva-Episode.
    Das Rad seiner Lebensgeschichte war im geburtsblutigen Akt wieder zurückgedreht worden, über drei Jahre zurück, und er war, zumindest im überwachen Bewußtsein dieser Krankenhaustage, wenn auch nicht faktisch, eben nach Bramme gekommen, um Anja zu vergessen, ein neues Leben anzufangen, Jojo, der Reporter.
    Er schaffte es schließlich, immer wieder von schweren Krisen geschüttelt, zu einem neuen Seelengleichgewicht zu kommen, indem er sich sagte, daß die Zeit im Knast, sein Leben als MUGALLE, das kurze Glück mit Eva Schauß, daß dies alles nur ein Traum gewesen sei und hörte sie wieder und wieder, wie sie – im Wagen war es, als sie ihn nach seiner Entlassung vom Knast abgeholt hatte – Calderon zitierte:

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