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Ich lege Rosen auf mein Grab

Titel: Ich lege Rosen auf mein Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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«Wenig kann das Leben geben; denn ein Traum ist alles Leben, und die Träume selbst ein Traum…»
    Jens-Otto Jossa war er, und wenn er nicht völlig kaputtgehen wollte, mußte er auch wieder formal-administrativ der Jossa werden, konnte nicht ewig als Mugalle weiterleben («Herr Mugalle, zum Psychologen bitte!»), immer getarnt und die Leute irgendwie verarschend, mußte weg von dem, was er den Mugalle-Fluch nannte.
    Aber wie? fragte er sich die ganze Zeit über, die er in der großen Klinik am Deister zubringen mußte, erregte sich so sehr damit, daß er die Rehabilitationspläne nachhaltig kippte.
    Polizei, Blutgruppentest und Fingerabdrücke? Nein, er hatte Angst davor, eine Wahnsinnsangst, erkennungsdienstlich behandelt und dann bis zur Klärung des Ganzen wieder eingelocht, in Untersuchungshaft genommen oder in eine geschlossene Anstalt verschubt, also weitergegeben zu werden.
    Anja? Er ging, als er Freigang hatte, ins nächste Postamt und blätterte in den Telefonbüchern all jener Städte nach, in denen sie sich möglicherweise aufhalten konnte, wo es entweder Universitäten oder Theater oder beides gab. Doch allenthalben Fehlanzeige, auch in Bramme.
    Dr. Lenthe fiel ihm ein, Mugalles alter Kompagnon, doch der war, wie er auf Umwegen erfuhr, beim großen Fährunglück von Zeebrugge ums Leben gekommen.
    Blieb nur eine Schiene und die hieß Bramme. Na, logisch!
    So fieberte er dem Tag seiner Entlassung mehr und mehr entgegen.
    «Was werden Sie denn nun machen, Herr Mugalle?» fragte ihn die Therapeutin, eine Frau von knappen Dreißig, die alle Menschenseelenbücher kannte, nur die Seelen der Menschen noch nicht – und darum auch so überaus erfolgreich war in ihrem Wirken hier.
    «Ich?» fragte Jossa.
    «Ja, wer sonst!»
    «…ich fahre natürlich nach Bremen, Evas Grab besuchen. Dann sehen, was mir ihr Cousin gelassen hat.»
    «Hier war er noch nicht, Sie besuchen – oder?»
    «Nein, nein.»
    «Und dann?»
    «Dann fahr ich mal nach Bramme rüber.»
    «Wieso ‘n das?»
    «Na, wo soll ich denn sonst den Faden Jos…» Fast hätte er sich ernstlich versprochen. «… sonst meine alten Kumpels wiedertreffen, den sanften Balduin zum Beispiel, den Josef… Und den… Na, alle jedenfalls…»
    «Sind die denn nicht alle längst wieder draußen?»
    «Schon, aber Kassau kann mir ihre Anschriften sagen.»
    «Machen Sie bloß keinen Quatsch!» warnte ihn die Therapeutin.
    «Wieso…?» fragte Jossa.
    «Daß Sie auf Nobby losgehen und ihn…!»
    «Ach, der sitzt doch jetzt in Celle.»
    «Das beruhigt mich ja.»
    «… lebenslänglich, und das heißt in seinem Falle: etwa zwanzig Jahre. Da sehen wir dann weiter…»
    Jossa gab zu, schon mal überlegt zu haben, wie man Nobby – auch im Knast – wohl «hinrichten» konnte, ohne selbst als Mörder dazustehen. Er brauche, sagte er, diese Rachegedanken, um jetzt alles durchzustehen, die Kraft aus dieser Quelle.
    Vielleicht solltest du die Frage anders stellen, sagte er sich, als er wieder allein in seinem Zimmer war, nicht nach Leuten suchen, die dich als Jossa wiedererkennen, sondern nach demjenigen, der jetzt als Jossa lebt, wo auch immer, nach Mugalle folglich.
    Wo ist Mugalle geblieben, was ist aus Mugalle geworden? Das also war die alles entscheidende Frage für ihn. Und um die beantworten zu können, mußte er mit seiner Suche in Bramme beginnen. Die Gedächtniseinheit «Mugalle hat Anja vom Balkon gestürzt; Anja tot; Mugalle auf der Flucht» war ihm ja verlorengegangen.
    «Herr Mugalle, dann alles Gute für Sie!»
    «Ja, und herzlichen Dank auch für all das, was Sie hier für mich getan haben, meinen Kopf insbesondere…!»
    Endlich war er aus der Klinik entlassen und machte sich sogleich mit der Bahn auf den Weg nach Bremen, fuhr vom dortigen Bahnhof sofort hinaus zum Osterholzer Friedhof, ließ sich am Eingang die Lage ihres Grabes erklären und brach dann fast zusammen, als er es gefunden hatte, sich bewußt machte, daß sie da unten lag und in ihrem Leib, verwesend wie sie, sein Kind.
    Den Gott verfluchend, der dieses zugelassen hatte, in wildem Haß auf Welt, Zeit und Menschen stieß er ihren Grabstein um, Symbol für alles Scheitern, und flüchtete auf die Straße hinaus, konnte auch unentdeckt in einen Linienbus zum Kuhkamp springen.
    Dieser Akt hatte ihn in einem Maße entlastet, daß er mit Evas Cousin, einem furchtbar gescheiten Versicherungsvertreter, ganz vernünftig reden, es klaglos hinnehmen konnte, daß der sich schon mit seiner ganzen Sippe im

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